Kunst
als Mythos
"Künstlerfürst und Außenseiter" lautet in der 10. Jgst eine Kapitelunterschrift des Lehrplans. Sie spielt darauf an, daß man Kunstgeschichte auch verstehen kann als Überlieferung von Erzählungen zu Künstlern und Kunstwerken, aus denen sich der Blick einer Zeit, Epoche, Ideologie auf diese Gegenstände spiegelt. Solche Mythen können in der Mittelstufe oder zu Beginn der Oberstufe interessante Gesprächsanlässe im Kunstunterricht schaffen. Uli Schuster |
Plinius der Ältere, ein römischer Schriftsteller, der beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 nach Chr. zu Tode kam, scheint der erste Autor gewesen zu sein, der die Kunst zum Gegenstand von Erzählungen gemacht hat, und zwar in einer "Naturalis historia". Auf die handvoll Textstellen bei Plinius hat sich dann die Renaissance gestürzt, wo es für einige Künstler, wie Leonardo und besonders Vasari zur Leidenschaft wurde, über ihre Kunst im Besonderen und die Kunst ihrer Zeit im Allgemeinen zu schreiben. Mit Beginn des 20. Jhs wird es zum Standard, daß neue Bewegungen im Bereich der bildenden Kunst sich nicht nur mit Bildern sondern auch mit Texten, Manifesten, Biografien, Katalogen einen erklärenden, rechtfertigenden Hintergrund verschaffen. Solche Texte kommen von einzelnen Künstlern selbst oder von Schriftstellern, oder von einer im 20. Jh zur Blüte gelangenden Kunstgeschichtsschreibung, die bei aller 'Wissenschaftlichkeit' oft nicht weit entfernt ist von der Weitergabe alter Geschichten oder der Erfindung neuer. |
Plinius führt die Entstehung der Malerei zurück auf eine rührende Liebesgeschichte. Debutade, ein Mädchen aus Korinth, nimmt bei Kerzenschein Abschied von ihrem Geliebten, der in die Ferne und vermutlich in den Krieg zieht. Die Lampe wirft seinen Schatten an die Wand und das Mädchen zieht den Umriß mit einer Linie nach um das Bild des Geliebten festzuhalten. Der Vater, ein Töpfer namens Butades, füllt schließlich den Umriß mit Ton, brennt die Form und erfindet damit die Plastik. Giorgio Vasari, Maler und Schriftsteller des 16. Jhs, gilt als Urvater der Kunstgeschichte. Er modifiziert diese Geschichte und macht einen Mann, den Lyder Gyges, zum Helden des Epos und läßt ihn mit einem Stück Kohle seinen eigenen Schatten nachzeichnen. Erfindungen wie die Zeichnung oder die Malerei kann man nicht Frauen überlassen. | ||
Suvée,1791,
Brügge,
Erfindung der Zeichnung |
Vasari,
um 1570, Florenz,
Erfindung
der Malerei |
Seit ihrer Mißachtung durch den Philosophen Platon hat die Malerei große Anstrengungen unternommen um ihren Gegenstand im Reich der Ideen anzusiedeln oder sich selbst zur Wissenschaft zu erklären. Cicero lieferte hierzu eine Legende, die die Maler dankbar aufgriffen. Der griechische Maler Xeuxis sollte für einen Tempel in Kroton das Bild der Helena als Inbegriff weiblicher Schönheit malen. Er verlangte von den Auftraggebern, ihm die schönsten Jungfrauen zuzuführen, weil er nicht alles Vollkommene an einem Körper antreffen könne: Das Ideal steht über der Natur und den Individuen. | ||
französisch
um 1530, New York
Xeuxis und die Jungfrauen von Kroton |
Was manchen Betrachtern wegen der Malweise als "realistisch" oder "naturalistisch" erscheint, ist in der Malerei keineswegs realistisch gemeint, sondern als Ideal verstanden. |
Joos
van Winghe um 1600, Wien
Apelles
malt Campaspe |
Im Wunsch von der Macht über die Schönheit und das Ideal ging eine andere Sage des Plinius noch über dieses Märchen hinaus. Der Hof- und Leibmaler Alexanders des Großen hieß Apelles. Diesen ließ der König ein Bildnis seiner Geliebten Campaspe malen. Wegen ihrer überragenen leiblichen Schönheit war es ein Akt. Apelles verliebte sich prompt in die Dame (oder in ihren Körper?), aber Alexander gefiel andererseits das Bild so gut, daß er das Mädchen dem Maler zum Geschenk machte und selbst das Bild behielt. Joos van Winghe (um 1600, Wien) hat den Moment dargestellt, in dem Amor dem Maler den Pfeil ins Herz stößt. Und die Botschaft der Geschichte: Das Bild ist letztlich mehr wert als das, was es abbildet, oder: die Kunst erhebt sich über das Leben. |
Die
Höhlenmalerei der steinzeitlichen Jäger und Sammler wird heute
hauptsächlich als Jagd- und Fruchtbarkeitsmagie gedeutet. Die an der
Höhlenwand materialisierte Vorstellung vom Ausgang der Jagd soll diesen
vorwegnehmend herbeibeschwören. Solcher Glaube an die magische
Kraft von Bildern reicht in vielen Religionen bis in unsere Gegenwart
hinein. Einige Religionen haben vor solchem Hintergrund die bildliche Darstellung
der Götter verboten oder gar ein völliges
Bilderverbot
ausgesprochen. Die christliche Tradition kennt sowohl den Fetisch,
also das Bild, die Reliquie, von der Heil ausgeht, als auch den
aufgeklärten Glauben an Bilder als Repräsentation oder
Illustration.
Im 8. Jh. brach zwischen Ostrom und Westrom ein Bilderstreit aus.
Während der Papst die Bilderverehrung zuließ, verboten mehrere
byzantinische Kaiser den Klöstern die Bilderproduktion. Der ökonomische
Hintergrund: Die griechischen Klöster verdienten eine Menge Geld mit
der Produktion von Heiligenbildern (Ikonen) und wurden den Kaisern zu mächtig
und unabhängig. Aus dieser Zeit stammt der Mythos, daß der hl.
Lukas, der Evangelist, das "Urbild der Madonna" gemalt hätte, auf
das alle folgenden Madonnenbilder zurückgehen. Damit erklärt
sich auch die Gleichförmigkeit der Ikonen.
Links eine Abbildung des Kopfs vom sog. "Turiner Grabtuch". Abb. re. zeigt Rogier van der Weydens Bild "Der hl. Lukas malt die Madonna", u, 1436/38, Boston. Fetischismus ist in der Psychologie auch ein sehr aktuelles Thema. So gibt es in der Medientheorie einen ganz präsenten Glauben an die Macht der Bilder, der davon ausgeht, daß Rezipienten gelegentlich vergessen, daß sie es bei Bildern mit Repräsentationen zu tun haben, und Bilder für das nehmen, was in ihnen repräsentiert wird. Eine aufgeklärte Position der Bildrezeption kennt den Mythos vom Bild, das nicht als Illusion (Repräsentation) erkannt wird. Das wiederum geht in der Literatur zurück auf den bereits erwähnten Plinius. Der berichtet über den antiken Maler Zeuxis, daß der ein Bild mit Trauben gemalt habe, auf das die Vögel losgegangen seien um nach den Trauben zu picken. |
Die Vorstellung vom Maler als Künstler und gebildeter Universalist hat in der Renaissance niemand stärker geprägt als Vasari, der mit seiner Schrift über die Lebensläufe der italienischen Maler von Cimabue bis Michelangelo als Begründer einer systematischen Kunstgeschichte gilt. |
Die
Selbsteinschätzung der Maler erreicht in der Renaissance einen Höhepunkt,
und bedient sich dabei eines der herausragenden biblischen Mythen überhaupt,
dem Schöpfungshymnus von Moses. Um 1530 malt Dosso Dossi, Hofmaler
in Ferrara, sein Bild, in dem er Jupiter den Schmetterling (griechisch:
psyché, ein Sinnbild beseelten Lebens) erfinden läßt,
während ihm Merkur die benötigte Ruhe verschafft gegenüber
einer ungeduldigen Tugend, der der Akt offenbar zu lange dauert. Im Hintergrund
des Bildes ist gerade die Scheidung von Nacht und Tag im Gange und anscheinend
ist der Tag schon einigermaßen fortgeschritten.
Der Malerei ist es schließlich gelungen, im Begriff des Schöpferischen eine überragende menschliche Fähigkeit zu verankern, die auch heute noch vielfach mit dem Künstlerischen gleichgesetzt wird. |
Dürer
hat der Vorstellung vom göttlichen Künstler auf indirekte
und sehr subtile Art Ausdruck verliehen mit seinen Selbstbildnis von 1500
aus der Pinakothek München. Er hat sich in die Pose einer Christusfigur
gesetzt und als Idealgestalt der Nachwelt erhalten. In seiner Einschätzung
vom Künstler weiß er sich mit einigen Zeitgenossen einig. So
legt De Hollanda in seinen "Vier Gespräche über die Malerei"
von 1538 dem Michelangelo folgende Aussage über die Malkunst in den
Mund:
"Man hätte keinen edleren und höheren Gegenstand des Gesprächs finden können, weil die Malerei von Gott selber ausgeht, der als Maler über allen Malern uns erschuf, nachdem er die Erde für uns gemalt hatte." (zit aus Würtenberger, "Der Manierismus", Wien 1962) In derselben Quelle wird Federigo Zuccaris Herleitung des Wortes Disegno (Zeichnung) als "segno di dio" (Gnade Gottes) erwähnt. Mit dem Titel "divinus" (göttlich) geht die Renaissance auch nicht sparsam um. In seinem "Dialog über die Malerei" läßt Lodovico Dolce 1557 seinen Protagonisten sagen: "Meine Gewohnheit ist es nicht, Herr Pietro, irgend jemand zu tadeln; doch kann ich Euch versichern, daß, wer auch nur ein einziges Male die Gemälde des göttlichen Michelangelo gesehen, sich kaum mehr die Mühe geben sollte, zur Besichtigung anderer Werke von was immer für einem anderen Maler die Augen zu öffnen." (Wien 1871) |
Bei aller Gottesähnlichkeit bleiben auch dem Maler zu jeder Zeit reichlich menschliche Züge, die sich kaum verleugnen lassen. Die Distanz zu den Göttern wird dann überbrückt durch die Mär von der göttlichen Inspiration. Was Priester, Literaten und Musiker schon im Altertum für sich beanspruchten, einen direkten Draht zu den Göttern, das behaupten spätestens seit der Renaissance auch die Maler von sich. Vermittelt werden ihnen die göttlichen Ideen durch die Töchter des Zeus, die Musen, oder den Götterboten Merkur. Marcus Geeraerts hat um 1577 in einer Zeichnung satirisch festgehalten, wie der Maler zwischen den weltlichen Nöten und Sorgen der hungernden Familie und der in Melancholie verfallenen Muse hin und her gerissen wird. Nicht einmal die Pfeile des Amor vermögen ihn anzustacheln, noch springt aus dem Stab des Hermes der rettende Funke. |
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Biografien eignen sich ganz hervorragend
für Erklärungen einer begnadeten Begabung und schicksalshaften
Bestimmung, die einen Menschen zum Künstler bestimmt. Dabei lassen
sich einige Topoi als stereotypische Mythologeme von Künstlerbiografien
destillieren:
Klant/Walch wählen eine Schreibweise ("Tartaren") für die Tataren, einem Nomadenvolk mongolischer Abstammung, die laut Brockhaus falsch ist. Beuys ist, wenn man den Lexica trauen darf, 1921 geboren. Demnach wäre er 1943 zweiundzwanzig Jahre alt gewesen oder geworden und nicht, wie das Schulbuch behauptet, 19 Jahre. Was hat ein Flakhelfer an Bord eines Kampfbombers zu suchen? Die JU 87, die auch schon beim Angriff der Legion Condor auf Guernica eingesetzt wurde, war ein Zweisitzer, in der es einen Piloten gab und einen Funker, der auch die 2 möglichen MG's bediente. Ein Flakhelfer hat dort nichts verloren. Nerdinger macht aus dem Flakhelfer einen Piloten. Das wäre schon plausibler. Auch die Bezeichnung des Flugzeugtyps erscheint realistisch, Stukas wurden im Krimkrieg eingesetzt. Die FAZ vom 7. August 2000 enthält im Feuilleton einen Artikel mit der Überschrift: "Ein Tag im Leben des Joseph B. Geheimnisse des Absturzes auf der Krim: Der Künstler Jörg Herold trifft Beuys-Zeugen und beleuchtet das Trauma des Künstlers" http://fazarchiv.faz.net/webcgi?WID=98273-9310584-12909_5 Reinhard Müller-Mehlis (kein Beuys-Fan) fasst den Inhalt der Recherche von Herold wie folgt zusammen:
"Neue Mythologien" erscheint vor diesem Hintergrund als eine Richtung der zeitgenössischen Kunst, die dem Faktischen misstraut und Wirklichkeit als eine Erzählung begreift, an der sich jeder mit Phantasie und Kreativität beteiligen kann. Pädagogisch scheint mir der Verzicht auf eine Unterscheidung von Wahrheit und Mähr ziemlich verhängnisvoll. Im Bereich des kindlichen Spiels und in der Kunst dürfen Erzählung und Fiktion einen legitimen Platz beanspruchen, im wirklichen Leben aber sind wir alle angewiesen auf möglichst klare Grenzziehungen zwischen Wahrheit und Lüge. |
Manche Märchen sind Keimzellen für neue Märchen
Um das "Kabaret Voltaire" in einer Züricher
Kneipe und die Auftritte von Hugo Ball und Emmy Hennings sammelte sich
1916 bis 1919 eine Gruppe von meist vor dem Krieg geflohenen Exilanten,
Künstlern und Gesinnungsgenossen. Als die Kunstgeschichte 30 Jahre
später nach dem 2. Welkrieg Dada für sich entdeckte und die kabaretistischen
und antikünstlerisch gemeinten Aktionen und Basteleien zu einem kunsthistorischen
Ereignis stilisierte, entstand die Frage nach der Bedeutung und dem
Entstehen des Begriffs Dada, worüber Hans Richter 1964
("Dada Kunst und Antikunst") folgendes zu berichten wußte:
Tristan Tzara erklärt die Erfindung von Dada:
Hans Arp erklärt die Erfindung von Dada:
Richard Huelsenbeck erklärt die Erfindung von Dada:
Hans Richter erklärt die Erfindung von Dada:
Hugo Ball erklärt die Bedeutung von Dada:
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Literatur:
Asemissen/Schweikhart, "Malerei als Thema der Malerei", Berlin 1994 Hans Richter, "dada Kunst und Antikunst", Köln 1973 "Pygmalions Werkstatt", Ausstekllungskatalog München, 2001 "Wettstreit der Künste", Ausstellungskatalog München, 2002 Archiv der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
FAZ
Die Tatarenlegende (Seite eines Kunstseminars
der Uni Stuttgart)
Gieseke,Markert "Flieger,Filz und Vaterland",Elefantenpress,
1996- Kritisch/
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