Soll ich mich als Kunstlehrer von Kusem beschustern lassen?
Erfreulich, dass wie in einem richtigen Kunstartikel die Kritk an einer
sonst eher als nicht weiter erwähnenswert eingeschätzten Abituraufgabenstellung
im Internet veröffentlicht wird. Das wertet das Fach Kunst auf und
seine Anliegen im Falle der Abiturthematik. Dieses Anliegen ist richtig
benannt mit "Leitfunktion": Qua Aufgabenstellung soll den Kunstlehrern
angedeutet werden, in welche Richtung ihr Fach unterrichtet werden sollte.Warum
so kompliziert? Weil es ihnen sonst egal ist, im Falle des Abiturs aber
am Ergebnis ihrer Schüler auch ihr Unterricht in der schulischen
Öffentlichkeit als mehr oder weniger erfolgreich beurteilt wird. Die
Kommission, die diese Aufgabenstellungen ersinnt, hat also alle Jahre wieder
den Drahtseilakt zu bewältigen, Aufgaben zu finden, die vom stattgefunden
habenden Kunstunterricht gedeckt sind, andererseits aber diesen immanenten
Fortbildungseffekt der Kursleiter initiieren. Im Falle des diesjährigen
Abiturs ging es bei der Beuysaufgabe darum, den Mangel theoretischer Schwerpunktaufgaben,
der darin besteht, dass die Praxisteile kaum die in der Kollegstufenzeit
erworbenen Fertigkeiten abfragen, zu beheben. Von daher die Idee, die zugegebenerweise
auf den ersten Blick etwas seltsam anmutet, quasi eine Naturstudie von
einer Reproduktion einer montierten Plastik machen zu lassen, bei der dieser
Aspekt der Strukturen direkt keine aussagerelevante Rolle spielt. Insofern
at Uli Schuster recht. Andrerseits: Auf einige Erkenntnisse bezüglich
der "Kreuzigung" kann der Schüler beim Abzeichnen der Oberflächen
schon kommen. Z.B. dass es sich um .povere Materialien handelt, die Benutztheit
derselben bewusst eingesetzt wurde etc. Ob er dabei Buntstifte benutzt
oder Raster darf ? Kann man von einem Abiturienten nicht erwarten,
dass er das selbst entscheidet oder sind etwa die Kursleiter so subaltern,
dass sie ein Arbeit schlechter beurteilen, wenn sie farbig angelegt wurde,
ohne dass dies ausdrücklich erlaubt war?
Obwohl er es als langjähriger Kunsterzieher eigentlich wissen
müsste, tut Uli Schuster so, als sei es ein Skandal, für die
praktischen Aufgabenteile die Punktzahl zu vergeben, die dafür eben
vorgesehen ist, nämlich ein Drittel der Gesamtpunktzahl.In der Tat
kommt es dadurch mitunter zu Verzerrungen, was die Sinnhaltigkeit der Bepunktung
betrifft. Man könnte sich auch überlegen, ob die 60iger Skala
die ultima ratio ist. Der heilsame Vorteil der Bepunktung, der nicht verschenkt
werden sollte, ist jedenfalls, dass wegen ihr gewisse Willkürlichkeiten
der Benotung ausgeschlossen werden, da sie den Lehrer zu einer Berücksichtigung
des mit den Pukten verbundenen Erwartungshorizontes zwingen.
Uli Schuster sollte auch wissen, dass die Papiercollagen des späten
Matisse mit gestrichenen Papieren arbeiten, bei denen die Laufrichtung
der Pinselstriche eine Rolle spielt wie auch die Farbdichte. In diesem
Falle: si tacuisses...Die Aufgabenstellung ist hier sehr sinnvoll.
Ärgerlich ist insgesamt der Zungenschlag, mit dem dieser Kommentar
verfasst wurde. Es wird so getan als spreche der Kommentator im Namen derer,
die auch von ihm als Kursleiter betroffen sind. In der Stunde der höchsten
"Erniedrigung" meint wohl umgekehrt auch für den Kursleiter Schuster,
der im Abitur beweisen muss, dass er nicht nur am Computer daß? Kommt
er deshalb auf den verwegenen politischen Rundumschlag, der ihn der cedeuschwarzen
Hintergrund der "Kreuzigung" espederot einfärbeln lassen ließ?
Sollte etwa mit Beuys hintenherum ein wertemässiges Bekenntnis des
Abiturienten zur christlich schwarzen Grundhaltung eruiert werden oder
schlimmer noch bewertet. Ich denke keine Sorge, Herr Schuster, Ihre Kritik
an Beuys ist so kritisch-lustig, dass Sie die Reife attestiert bekämen!
Und in der Tat, der Kommentar ist im.Kern eine Kritik am Künstler
Beuys und nicht an der Aufgabenstellung, obgleich er so tut, als sei diese
obsolet. Beuys darf nicht als Abiturthema gestellt werden, diese Botschaft
transportiert der Text.
Eine zweite spielt permanent mit herein, eine medienkritische. Sie
war einmal das Erkennungszeichen vom "Durchblicker", dem Erziehungsideal
Anfang der 70iger Jahre. Natürlich ist eine Reproduktion eine Reproduktion
und es gibt bessere und schlechtere. Letztes Jahr gab es einen seitenverkehrten
"Cezanne", vor vieren einen Seurat, der zu lange in der Sonne gelegen war.
Der Beuys ist eine gute Reproduktion, ihre Inszenierung widerspricht dem
Original nicht. Und auch wenn sie es täte, es wäre egal. Heute
lernt der Schüler bereits in der Unterstufe, inwiefern eine Reproduktion
eine ist und dass in der Schule leider keine Originale betrachtet werden
können. In der Oberstufe ist es ihm dann meist schon peinlich, immer
wieder darauf verwiesen zu werden. Auch im Abitur wird eine Reproduktion
analysiert, eine von Beuys oder von Matisse, das macht trotz allem den
entscheidenden Unterschied!
Es war einmal.an der Zeit,eine Bildhauerarbeit analysieren zu lassen,
einen beinahe zeitgenössischen Künstler zu berücksichtigen
und die Gelegenheit zu einem neuen Aufgabentypus zu ergreifen. Es kann
noch besser werden. Nehmen wir Uli Schusters "Kommentar" als Aufforderung
dazu und nicht als selbstgefällige Beschusterung, der er auch ist.
Christoph Hessel