Horst Schwebel im Gespräch mit Joseph Beuys
Beuys: "Der Christusimpuls ist merkwürdigerweise in die Wissenschaft eingegangen und nicht in die Kirche. Die Wissenschaft hat den Menschen in diese ungeheure Einsamkeit hineingeführt, wo der Mensch im Materialismus fragt: Was ist mein Wesen? Bin ich ein biologisches Etwas, das gleichgesetzt ist beispielsweise mit einem Tier oder einer Pflanze, aber mit Intelligenz ausgestattet? Wie komme ich durch mein Leben hindurch? - Die Entwicklung des Christentums ist nur so denkbar, dass sie zunächst einmal in die Einsamkeit führt und dieses "Ich werde euch frei machen" zunächst gar nicht geschieht. Denn zunächst muss der Mensch das einmal durchmachen, was Christus selbst durchgemacht hat. Er muss erst einmal auf der Erde ankommen, d. h. er muss sich erst einmal an der wirklichen Materie stoßen. Er muss das Todeselement erleben, dass er in völliger Einsamkeit dasteht und nach seinem Wesen, nach dem Wesen der Welt fragt. Das ist, denke ich, das Mysterium der abendländischen Wissenschaft. Sie hat es erbracht, dass der Mensch fähig wird, sich an der Materie zu stoßen. Es ist die Leistung der Wissenschaft, nicht die der Kirche. Die Kirchen haben stattdessen eine orientalische Liturgie weiter tradiert. Der Materialismus ist ein Ergebnis des menschlichen Denkens, menschlicher Ich-Kraft und menschlicher Aktivität im Wissenschaftsgebiet. Parallel dazu ist in der Kirche nichts geschehen in bezug auf die Metamorphose des menschlichen Bewusstseins. Aber eine ungeheure Metamorphose des menschlichen Bewusstseins ist eben auf dem Felde der Wissenschaft geschehen. Sie brauchen nur die verschiedenen Fragestellungen der großen Philosophen anzuschauen, um dann schließlich zu sehen, wie nach und nach das Spirituelle, das Glaubensmäßige, aus dem System herausgebrochen wird, das im Anfang ja noch darin enthalten ist. Alles Glaubensmäßige wird heraustransportiert, weil - ich interpretiere kurz - der Philosoph, der auf die Grundfrage des Menschlichen kommt, immer die Dinge herauswerfen muss, die ungeklärt sind. So wird das ganze System reduziert. Das Geistige wird hinausgeworfen. Damit kommt man dann an ein spezielles Geistiges, nämlich dass der Mensch mittels seiner rednerischen Kräfte sowie seiner Verstandeskräfte die Materie analysieren kann. So ist der Mensch ein analytisches Wesen geworden..." Das ganze Interview findet sich im Netz unter:
|