Perspektive |
Die Perspektive ist der rationalistische Teil der Proportionslehre, insofern sie die Möglichkeit bietet, die Größenbeziehungen der Sehdinge zueinander in meßbare Beziehungen zu einem räumlich definierten Auge, einem Projektionszentrum zu bringen. Die geometrischen Voraussetzungen für die perspektivische Konstruktion sind bereits in der Antike formuliert und kommen dort auch praktisch in der Landvermessung bereits zur Anwendung. Vitruvs Schriften zur Architektur waren im Mittelalter weitgehend in Vergessenheit geraten, wurden jedoch 1414 in der Bibliothek von St. Gallen wiederentdeckt und fanden dann rasche Verbreitung. Alberti hat sie gepriesen und zu Beginn des 16.Jhs wurden sie bereits in Übersetzungen gedruckt. |
Direkter Vorläufer der perspektivischen Abbildung ist die Scenografie, ein den Griechen und Römern bekanntes Verfahren zur Erzeugung illusionistischer Wirkungen bei Bühnenbildern. Entlang einer vertikalen Fluchtachse wird für die tieferen Fluchtlinien ein niedrigerer Fluchtpunkt gewählt als für die höher liegenden Fluchtlinien. Ein Horizont und damit der Begriff vom Unendlichen fehlt dieser Art der Raumdarstellung. Brunelleschi hat diese Optik vom Theaterpublikum gelöst und auf ein individuelles Auge zugeschnitten. Das führte zur Zentralperspektive mit einem Horizont und einem Fluchtpunkt für alle Orthogonalen (senkrecht zur Bildebene verlaufenden Linien). Dürer erklärt uns das Verfahren der Perspektivkonstruktion sehr leicht verständlich mit Hilfe einer mechanischen Zeichenvorrichtung. |
Dürer sagt: "Daz erst ist daz awg, daz do sicht. Daz ander ist der gegenwürff, der gesehen wirt. Daz trit ist dy weiten dotzwischen" |
Im Atelier wird an einer Wand ein Nagel mit Öhr beferstigt, der das Auge des Betrachters repräsentiert. Durch die Öse wird ein Faden mit Bleigewicht am Ende gezogen, der den Sehstrahl verkörpert. Auf einem Tisch wird senkrecht zur Tafel ein rechteckiger Rahmen aufgebaut, mit einem kleinen Bildfenster, auf dessen beweglichem Flügel das Zeichenblatt aufgezogen ist. Der Faden wird durch den Fensterrahmen hindurch zu einem Punkt des Gegenstands geführt. Wo sich die Rahmenfläche (Projektionsebene) mit dem Faden schneidet, ergibt sich ein Bildpunkt, der mit kreuzweise am Rahmen gespannten Fäden koordinatenmäßig fixiert wird und sich nach dem Schließen des Fensterflügels auf die Zeichenfläche übertragen läßt. Wiederholt man diese Prozedur für die wichtigsten formgebenden Gegenstandspunkte, so entsteht ein objektives, proportionales, perspektivisches Abbild des Gegenstands. Die Perspektive ist ein Wahrnehmungsmodell für ein objektives Sehen durch ein Subjekt. |