Unterrichtssequenz zum Lernbereich Körper 1. Bildhauer und Modelleure - drei künstlerische Positionen um die Jahrhundertwende von Uli Schuster 2008 |
Der neue Lehrplan
für die Oberstufe des G8 in Bayern sieht in 11.1 eine Auseinandersetzung
mit dem Themenfeld "Körper" vor. Die nachstehende Unterrichtssequenz
möchte in vier abgeschlossenen Einheiten ein Beispiel geben, das diesem
Anspruch gerecht zu werden versucht. Die Unterrichtssequenz ist auf vier
getrennte Adressen verteilt.
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Auguste Rodin (1840 - 1917) war
zu seiner Hauptschaffenszeit seit Mitte der 70er Jahre ein ebenso gefeierter
wie umstrittener Künstler. Es war für einen Bildhauer keineswegs
neu, dass er eine Werkstatt betrieb, und die hohe Nachfrage des
wachsenden Kunstmarktes hatte dazu geführt, dass in den Bereich der
Produktion annähernd industrielle Maßstäbe Eingang
fanden. Zudem führten technische Entwicklungen dazu, dass die Betriebe
durch die Herstellung von Kopien, die Übertragung von einem Material
in ein anderes, die maßstabsgetreue Vergrößerung und Verkleinerung
sozusagen ‚für jeden Geldbeutel‘ ein erschwingliches Produkt anbieten
konnten. Nach Rodins Tod wird öffentlich diskutiert über
die Frage, bis zu welchem Maß der Meister wohl beteiligt sein konnte
an dem erheblichen Volumen des Werks, das unter seinem Namen gehandelt
wurde und für dessen Entstehung er am Höhepunkt seiner langen
Schaffensperiode eine Werkstatt mit bis zu 50 Helfern betrieb.Ein
erster Streitpunkt um die Plastik Rodins verbindet sich mit einem Werk
von 1876, das er mit dem Titel "Der Besiegte" 1877 in Brüssel
ausstellte. Die lebensgroße Figur war umstritten, die Kunstgeschichte
spricht von einem "Skandal". Streitpunkt war die Frage, ob es sich
bei der Gipsfigur um einen Lebendabguss handelte, was nach dem Kunstverständnis
der Zeit als rein handwerkliche Arbeit in einer Kunstausstellung
nichts zu suchen gehabt hätte. Wie das mit Skandalen seit Geburt der
Presse ist, machte die öffentlich ausgetragene Debatte Rodin zu einem
bekannten Mann. Seine Bekanntheit wuchs noch, als er im selben Jahr dieselbe
Figur unter dem Titel "Das eherne Zeitalter" in Paris ausstellte.
In der Folgezeit wurde das Standbild noch mehrfach umgetauft, hieß
"Das Erwachen der Natur", "Primitiver Mensch" und auch "Das Goldene Zeitalter".
Für Rodin war offensichtlich der Inhalt des Werks nicht mehr fest
an die formale Aussage gebunden, was dem Kunstverständnis des
Publikums und einiger Kritiker schon zu viel abverlangte.
rechts: "Der Besiegte" (1877, Gips, lebensgroß) |
1917 stirbt der Bildhauer Auguste Rodin, der zu dieser Zeit schon als der bedeutendste französische Bildhauer seiner Zeit gilt und dessen Werk den Beginn einer neuen Auffassung von Plastik markiert. Wie den impressionistischen Malern seiner Zeit geht es Rodin um einen Ausdruck von Unmittelbarkeit. Das zentrale Thema des Impressionismus, die Landschaft, ist für die Bildhauerei noch nicht ergiebig, hier ist, wie auch im Klassizismus, die menschliche Figur der zentrale Punkt, um den die Auseinandersetzungen kreisen. Insbesondere der Abguss von in Ton modellierten Plastiken kam dem künstlerischen Bedürfnis nach „Unmittelbarkeit“ entgegen, weil in der Bronze perfekt bis zum Abdruck der Künstlerhand die Spuren des Werkprozesses erhalten blieben. Hier kann man in der Plastik eine Parallele zur impressionistischen Malerei sehen, die auch gelegentlich in ihrer Skizzenhaftigkeit, im pastosen Farbauftrag, in einem spürbar zügigen Arbeiten sich abhebt von einem klassizistischen Werkverständnis, indem es die glatte Oberfläche vermeidet und Spuren von Werkzeug und gestaltender Hand sichtbar macht. Rodin rettet in einer Phase radikaler Umwälzungen in der Kunst naturalistische Formvorstellungen ins 20. Jh. hinüber, die für viele Bildhauer eine Orientierung darstellen, die dann im Faschismus und Nationalsozialismus Karrieren machen. Sein Balzac verträgt sich noch am wenigsten mit den Heroen der 30er Jahre, aber vermischt mit manchen neoklassizistischen Positionen kommt dabei etwas heraus, was wir bei Breker und Thorak wieder finden können. |
Aristide Maillol (1861-1944) begann
seine künstlerische Laufbahn als Maler. Um 1900 begann er im Alter
von 40 Jahren aufgrund einer Augenkrankheit mit kleineren plastischen Arbeiten
aus Holz und Ton und entwickelte daraus eine monumentale Form, die zwischen
1902 und 1905 zu einem seiner bekanntesten Werke reifte, der Mediterranée.
1905 nach Vollendung dieses Werks machte er sich als Autodidakt zum Verfechter
eines handwerklich sauberen bildhauerischen Schaffensprozesses:
Macht sich Maillol hier als Verfechter
der "taille directe" stark, so muss man zu ihm allerdings
sagen, dass er sich dieser „ehrlichen Handwerklichen Methode“ äußerst
selten bedient hat. Ganz im Gegenteil ist auch er, wie Rodin, ein Beispiel
für die Gattung der Modelleure. Seine Reliefs und Plastiken
wurden vielleicht nur deshalb so bekannt, weil sein Kunsthändler Vollard
– „vertrauen Sie mir Ihre Figur an, ich veranlasse
alles weitere“ - eine unlimitierte und für Maillol unübersichtliche
Anzahl von Kopien in den Markt warf. Er gab an, dass er die Auflage auf
10 Güsse begrenzen wollte, aber, so Maillol „er
machte zwar zehn Güsse, nur waren es zehn Tausend“ (S.
57 bei Berger/Zutter) Die einzige Großplastik in Stein von
seiner eigenen Hand war ein Exemplar der ‚Mediterranée‘(unten
li. 1905), die er aber mit Hilfe der Punktiermethode vom Gipsmodell herstellte,
einer Methode, nach der auch in der Werkstatt Rodins Steinplastiken nach
Tonmodellen kopiert wurden.
An der Malerei des Impressionismus lässt sich die Abwendung von der Historia gut aufzeigen. Das Interesse an Landschaft, der Darstellung von Natur, flüchtiger Atmosphäre, Luft und Licht ließ keinen Raum mehr für mythologische Szenen und die heroischen Momente der Geschichte. Auch in der Plastik der Zeit, etwa bei Rodin und Maillol, wird deutlich, dass das <große Thema> zugunsten eines relativ beliebigen Titels aufgegeben wird. So hat die als „Mediterranée" heute bekannte Plastik Maillols nicht nur zwischen Ton, Gips, Stein und Bronze das Material gewechselt. Mehrfach änderte sie zwischen der Auftragsvergabe durch Graf Kessler 1904 bis in die 20er Jahre auch ihren Namen. Nannte Maillol sie zunächst "Femme accroupie", "Pensée, "Pensée latine", "Nu", "Figure" und "Statue pour un parc tranquille" , so wurde sie erst Anfang der zwanziger Jahre in Méditerranée umgetauft. Hier passiert parallel zum Impressionismus ein wegweisender Verzicht auf die inhaltliche Bedeutung der Plastik, eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Thema zugunsten der Form. André Gide hat dazu bereits 1905 bemerkt: "Sie ist schön. Sie bedeutet nichts". Auch Paul Fierens bestätigt das: "Die moderne Skulptur will nichts weiter sein als Skulptur" (Fierens 1934, Zitate aus Berger/Zuttner, 'Maillol, 1996). Das würde es auch verwegen erscheinen lassen, wenn wir bei Betrachtung der Figur uns mit Deutungsversuchen oder Interpretationen aufhalten wollten. Dieser veränderte Blickwinkel wird auch in Deutschland deutlich, beispielsweise an der Plastik von Adolf Hildebrand und seinen ästhetischen Theorien, die er in der Schrift "Das Problem der Form in der bildenden Kunst" 1893 veröffentlichte. Maillol rettet in einer Phase radikaler Umwälzungen in der Kunst klassizistische Formvorstellungen ins 20. Jh. hinüber, wie beispielsweise auch Adolf Hildebrand in München (Wittelsbacher Brunnen 1890-95). Weil er inhaltlich eher leer ist, verträgt er sich mit manchen neoklassizistischen Positionen ( etwa Georg Kolbe, Breker, Thorak) ganz gut, die in den 30er Jahren eine Wende zum Faschismus und Nationalsozialismus vollziehen. |
Constantin Brancusi (1876-1957)
ist ein Zeitgenosse Rodins und Maillols, arbeitete bis in die 30er Jahre
in Paris, hatte um 1906 engen Kontakt zu Rodin und stellte vor dem 1. Weltkrieg
bereits mehrfach in Paris aus. Anders als Rodin und Maillol wurde er in
seinem Kunstverständnis geprägt von den Entwicklungen in der
französischen Kunst um die Jahrhundertwende, wie dem Jugendstil,
der Arts&Crafts Bewegung, dem Kubismus und anderen Tendenzen,
die hin zu einer ungegenständlichen Plastik führen. Die Differenzen
zwischen den Bildhauern und den Modelleuren werden um die Jahrhundertwende
zugespitzt auf ein Ringen um bildhauerisch-handwerkliche Ehre und
künstlerische
Wahrhaftigkeit. In England war es die „Arts and Crafts“-Bewegung,
in Deutschland der „Werkbund“, die gegen industrielle Prozesse und
für eine Erneuerung handwerklicher Prinzipien eintraten, in
Bezug auf die Bildhauerei die Rückkehr zu einer „inner truthfulness“
und „Materialgerechtigkeit“ forderten, im Gegensatz zu den Surrogaten,
die durch den „Missbrauch der Maschine“ erzeugt wurden. Diese Schlagwörter
passen ganz gut zu einer weit verbreiteten Kultur- und Zivilisationsmüdigkeit
der Epoche, die sich zunächst einmal sehnt nach der Reinheit und Ursprünglichkeit
von Kulturen, die man sich im Zuge der Kolonialisierung unterworfen hat,
die aber Phantasien von einer heilen Welt, einem neuen Arkadien, von zivilisationsfernen,
verlorenen
Paradisen geweckt haben, sich wenig später bei vielen in einen
zerstörerischen Wunsch nach der reinigenden Kraft eines Krieges wandelten.
Gauguins Aufbruch in die Südsee, die Hinwendung einiger Expressionisten
zu einem Primitivismus, der sich in Plastiken aus Afrika, magischen,
kultischen oder kunsthandwerklichen Erzeugnissen aus den Kolonien zeigt,
sind nur einige Marken dieser Epoche auf einer ideologischen Linie, die
sich über die Romantik, die Renaissance bis zu den Römern zurückverfolgen
ließe.
In Brancusis Plastik zeigt sich diese Rückbesinnung auf Urformen in einer nicht mehr zu übersehenden Tendenz zur Blockhaftigkeit, wie man sie in Babylon bereits 2000 Jahre vor unserer Zeitrechnung kannte. Der Kuss 1912 (unten links) ist eines der Motive, die Brancusi extensiv in mehreren Versionen ausschlachtet. Von einem anderen Motiv "Vogel im Raum" gibt es ab 1923 mindestens 13 Versionen in unterschiedlichen Materialien.
Die Kunstgeschichte ist angewiesen auf die Darstellung von Entwicklungslinien und sieht häufig bereits in den Figuren von Maillol eine Tendenz zu 'stabilen', stereometrisch gestrafften Formen, einer tektonisch verdeutlichten Gliederung, einer Oberfläche, die auf naturalistische Details verzichtet, die allesamt dem Realismus von Rodin eher fremd waren. Das Blockhafte reduziert sich bei Rodin auf die Idee des "Torso" ("Der Schreitende"1877-1900) und im Stein auf das "Non finito" ("Der Kuss" 1898). Vielfach stecken seine Figuren teilweise noch im Steinblock. Der Schritt von Brancusi zur geschlossenen Form und zur plastischen Vereinfachung der Form ist aber noch gewaltig. Die Forderung nach der taille directe, zunächst durchaus im Sinn einer handwerklichen Virtuosität gemeint (etwa in der Nachfolge von Michelangelo), schlägt bei Brancusi um in einen bildhauerischen Primitivismus, der prägend war für eine ganze Generation von Nachfahren. Brancusi liefert in einer Phase radikaler Umwälzungen in der Kunst Formvorstellungen für das 20. Jh. , die für das Menschenbild von Faschismus und Nationalsozialismus keine Orientierung boten. Damit konnten sie jedoch der Plastik nach dem Dritten Reich einen Weg weisen, der als politisch unbefleckt galt. So kann man an städtischen Brunnen, an Gedenkstätten für die Opfer der Verfolgung etc. aus den ersten beiden Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg seine Spuren wieder erkennen in den Plastiken seiner Nachfahren. |
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Literatur:
„Aristide Maillol“, von Ursel Berger u. Jörg Zutter, 1996 |