Leistungskurs Kunsterziehung
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Sulamith und Maria oder Italia und Germania
Friedrich Overbeck (1869-1909)
gemalt 1828, Größe 94,4 x 104,7 cm, Öl auf Leinwand,
Neue Pinakothek, München

2003 von Uli Schuster 


Erster Eindruck
Frauengespräche - soll man sich da als Mann zurückziehen? Der offene Gestus, mit dem die Mädchen dem Betrachter Einblick in ihre intime Zwiesprache gewähren, scheint sich um einen Zuschauer nicht zu kümmern, weil der auch durch keinen Blick direkt einbezogen wird. Dabei scheint es aber um sehr gefühlsmäßige Dinge zu gehen. Der gesenkte Blick der Brünetten, die sanft verschlungenen Hände, die körperliche Nähe der Beiden, das alles wirkt so, als ob jemand zu trösten ist und sich andererseits ein blonder Engel gefunden hätte, der Trost und Verständnis zu spenden vermag. So wie die beiden gekleidet sind, sind sie aus gutem Hause. Da geht es vermutlich weniger um körperliche Not als um seelische Pein. Vermutlich ist die Liebe im Spiel und geht es um die, die im Bild nicht gezeigt werden, die Männer.
Die ganze Staffage, edle, aber im Schmuck dezente Gewänder in kräftigen Farben, ein Blick aus erhöhter Position auf eine sich weithin erstreckende Landschaft mit Elementen gotischer und romanischer Architektur verweisen auf ein ritterlich-höfisches Milieu. Dabei haben die Beiden so wenig individelles in ihren Gesichtern, dass man ihnen außer Sanftmut und Innigkeit fast keine anderen Charakterzüge zutrauen möchte.

Ordnung der Bildfläche
Das Bild weicht von einer quadratischen Fläche nur gering ab und es scheint interessant, dass der Maler diese Abweichung in der Breite dadurch korrigiert, dass er den Überhang auf der rechten Bildseite durch einen Pfeiler oder ein Stück Mauer besetzt. Zieht man die Mauer von der Breite ab, bleibt als Bildfläche ein Quadrat übrig, dessen Seiten der Bildhöhe entsprechen. Der Körperumriss der Figurengruppe schmiegt sich, wie bei einigen Bildern von Raffael, ungezwungen aber doch spürbar einem Dreieck ein, dessen Spitze etwa an der halben Kantenlänge dieses Quadrats zu finden wäre. Die Basis dieses Dreiecks lässt sich schwerer ermitteln. Sie liegt aber etwa dort, wo am linken Bildrand eine Steinplatte die Rückenlehne der Sitzfläche markiert, auf der die beiden Mädchen Platz genommen haben, und die sie mit ihren Körpern und Röcken ganz verdecken.
Stärker als diese eckige Geometrie empfindet man eine ovale Form, die durch den Bogen der Arme, Schultern und Köpfe gebildet wird. Solche geschmeidigen und runden Bögen wiederholen sich wie ein Leitmotiv in mehreren Varianten, etwa in den Köpfen, Kränzen, Ausschnitten und Oberkörpern der Mädchen. Diese kreisenden Bewegungen wirken in sich geschlossen und ruhend.
Die wenigen Geraden des Bildes, der Horizont und der vertikale Pfeiler am rechten Bildrand stellen weniger ein Kontrastprogramm auf für den runden Ruhepol des Bildes, als dass sie ihn rahmen und damit erst ins Zentrum rücken. Eine derartig deutliche und klassische Bildordnung lehnt sich an Kompositionen an, welche die Maler der Renaissance erdacht hatten und die insbesondere in der Romantik wieder bevorzugt herangezogen wurden.

Ordnung des Bildraumes
Der Bildraum erschließt sich über eine flache Bildbühne, die wie ein architektonischer Rahmen den Vordergrund mit den beiden Figuren vor ein nur links und rechts neben den Figuren offenes Bildfenster rückt. Man kann nicht genau sehen, worauf die beiden Mädchen sitzen, aber es könnte eine steinerne Bank sein, die im Rücken der Figuren mit einer schmalen Brüstung abschließt. Architektonisch lässt das an eine Loggia oder einen Balkon denken. 
Jedenfalls scheint der Sitz auch einen schönen Ausblick über die Landschaft zu gewähren. Dem allerdings drehen die Mädchen den Rücken zu. Er zeigt jedoch dem Betrachter wo sie beheimatet sind: Rechts türmt sich eine Stadt auf in mittelalterlichem Gepräge und mit dem spitzen Turm einer gotischen Kirche, links liegt etwas näher und tiefer ein Gebäudekomplex, vielleicht ein Kloster, an dem sich ein romanischer Glockenturm, eine Fensterrose und Rundbögen ausmachen lassen. Man kann in der Gegenüberstellung von gotischen und romanischen Elementen ein Argument sehen für eine kunstlandschaftliche Sicht auf Germania (gotisch) und Italia (romanisch).
Der Hintergrund ist farblich interessant, weil ihn der Maler deutlich in zwei Zonen trennt, eine nähere, die in warmen Brauntönen gehalten ist, und eine fernere, die durch ein kühles Verblauen weit in die Ferne gerückt wird. Sanfte Hügel lassen dort an ein Mittelgebirge denken und Wasser deutet einen See oder die Uferzone eines Meeres an. Menschen oder Tiere sind in dieser Landschaft nicht zu sehen, aber man kann annehmen, dass ganz im Sinn romantischer Landschaften hier Verweise auf die Personen zu suchen sind. Auf Kirche und Kloster wird in der Architektur verwiesen, Stadt und Land könnten als Alternativen gesehen werden, bezeichnen aber auch gemeinsam denkbare Lebensräume, die sich nicht ausschließen oder feindlich gegenüberstehen.
Jedes illusionistisch gemalte Bild enthält einen mehr oder weniger versteckten Hinweis auf ein betrachtendes Auge. Der Horizont markiert seine Höhe und verrät uns in diesem Fall einen Blickwinkel aus leichter Untersicht in Bezug auf die Augenhöhe der Mädchen. Das Stück Mauer auf der rechten Bildseite gibt mit den Fugen der Backsteine die Möglichkeit preis, den zentralen Fluchtpunkt dieser Frontalperspektive zu rekonstruieren. Er findet sich etwa dort, wo die beiden Gesichter ein kleines 'Fenster' offen lassen für einen Blick in die Tiefe des Bildraums.

Die Farbordnung
Kräftige Lokalfarben dominieren den Vordergrund. Rot, Grün, Gelb, ein fast schwarzes Blau und Weiß sind hier die Hauptfarben. Der Mittelgrund zieht sich in einem warmen Braunton vornehm zurück während die Ferne in blassblauen Tönen entrückt. Die Quantitäten sind nicht ganz leicht zu bestimmen, aber Rot und Brauntöne beherrschen das Bild und treten deutlich in den Vordergrund, während sich Blau nur an wenigen Stellen kräftig und deutlich zeigt, zum Beispiel am Schulterband der Germania. Gelb hat im Innenfutter von Marias Jacke den stärksten Ton, kommt aber in den Haaren und den Hauttönen in sanften Abtönungen mit Rot und Orange vor. Das Weiß an den Hemden beider Mädchen ist deutlich als Farbe bestimmt und findet sich im Himmel und in den Hauttönen der Mädchen als Grundton. Durch Farbseparation lassen sich Farbauszüge herstellen, an denen sichtbar wird, wo die Haupttöne im Bild vorkommen und welchen Flächenanteil sie belegen.
Während im Vordergrund scharfe Umrisse die Farbflächen klar abgrenzen, sind die Umrisse im Hintergrund nur noch schwach wahrnehmbar. Helle und dunkle Töne liegen im Vordergrund stark kontrastierend nebeneinander, ein weißer Ärmel steht vor einem nahezu schwarzen Rock. Im Hintergrund sind die Unterschiede zwischen helleren und dunkleren Tönen nur noch schwach sichtbar.
Die Malweise ist in einem hohen Maß glatt und hinterlässt keine sichtbaren Spuren der Pinselführung oder des Farbauftrags. Farbe ist als Malmaterial, Leinwand als Bildgrund nicht wahrnehmbar. Die Farbübergänge, Verläufe sind fließend und weich, sowohl dort, wo das Gewand Falten bildet, als auch in den Gesichtern oder an den Händen.
Es ist wohl nicht zu weit hergeholt, wenn man die hauptsächlichen Farben des Bildes in Zusammenhang bringt mit dem Bildtitel Italia und Germania. Nationale Kennzeichen spielen in der Romantik eine bedeutende Rolle, einer Zeit, in der überall in Europa eine Besinnung auf die Nationen politisch bedeutsam wird. Schwarz, Rot, Gold als deutsche Nationalfarben stehen den italienischen Farben Grün, Weiß, Rot gegenüber. So betrachtet ist es bemerkenswert, dass die beiden Mädchen zwar die für ihre Landsmannschaft bezeichnenden Haarfarben tragen, bei den Gewändern allerdings die Rollen vertauscht haben.

Die gegenständliche Bildordnung
Der ursprüngliche Bildtitel benennt die beiden Mädchen mit Sulamith und Maria. Das liefert für die Interpretation deutliche Hinweise auf bestimmte Frauengestalten für die es einen literarischen Hintergrund gibt. Auch die spätere Benennung mit "Germania und Italia" gibt der Interpretation eine mögliche Richtung. Neben den Gewändern und der Architektur, die vom Stil her auf historische Epochen weisen, liefern die Haarkränze deutliche Hinweise für die Interpretation der Szene. Sulamith trägt einen Kranz aus Lorbeer während Maria einen Kranz aus Myrthe um ihr Haupt gewunden hat. Beide Pflanzen tragen mythologische Bedeutungen. Die Hinweise aus Architektur und Landschaft sind oben bereits angesprochen worden.

Wer ist Maria?
Maria ist eine mythologische Figur aus dem Neuen Testament. Was sie als Frau auszeichnet ist, dass sie als Jungfrau Gottes Sohn zur Welt bringt. Ihre Rolle als Gottesmutter gibt ihr den Nimbus der Unberührbaren. Auf der anderen Seite steht Maria Magdalena. Das ist die Frau, die Jesus die Füße salbt. Da sie als Prostituierte bekannt ist und Jesus diese Aktion zulässt, wird dies als ein Akt der Vergebung gedeutet, der die Sündige Frau moralisch reinigt und ihr ihre Schuld vergibt. Magdalena wir meist mit roten Haaren dargestellt. Overbecks Maria erweckt nicht den Eindruck einer sündigen Frau, aber ihre Haare könnte man sicher als rotblond bezeichnen.

Wer ist Sulamith?
Sulamith ist eine literarische Figur aus dem Alten Testament. Im 'Hohen Lied' wird sie wie folgt besungen:

...
Wende Dich, wende dich Sulammit damit wir dich betrachten.
Was wollt ihr an Sulammit sehen? Den Lager-Tanz!
Wie schön sind deine Schritte in den Sandalen, du Edelgeborene.
Deiner Hüften Rund ist wie Geschmeide, gefertigt von Künstlerhand.

Dein Schoß ist ein rundes Becken, Würzwein mangle ihm nicht.
Die Leib ist ein Weizenhügel, mit Lilien umstellt.
Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie die Zwillinge einer Gazelle.
Dein Hals ist ein Turm aus Elfenbein.

Deine Augen sind wie die Teiche zu Heschbon beim Tor von Bat-Rabbim.
Deine Nase ist wie der Libanonturm, der gen Damaskus schaut.
Dein Haupt gleicht oben dem Karmel;
Wie Purpur sind deine Haare; ein König liegt in den Ringeln gefangen.
...

Der Lorbeer gehört in der Mythologie zu Apoll und Daphne. Er ist Symbol des Sieges und der schöpferischen Kraft. Seine Entstehung verdankt er der Liebe des Gottes Apoll zu der keuschen Nymphe Daphne. So zumindest glaubte man im antiken Griechenland. Als der Gott die spröde Schöne allzu heftig bedrängte, rief sie Göttervater Zeus um Schutz ihrer Unschuld an. Und Zeus rettete sie, indem er sie vor Apolls Augen in einen Baum verwandelte, in den Lorbeerbaum. 
Die Myrthe kennt man heute noch als Brautschmuck. Sie ist eine Pflanze, der eine hohe Sensibilität zugesprochen wird. Schwer ist sie zum Blühen zu bringen, aber wenn sie erblüht, dann überreich und in zarten Blüten. Ein Symbol der Reinheit und Jungfräulichkeit.

Interpretation
Eine Interpretation fragt nach Botschaften, die ein Bild transportiert. Manche scheinen mehr im Vordergrund zu stehen und lassen sich leichter herauslesen. Das betrifft insbesondere solche, die sich aus dem sachlichen Bestand erschließen lassen, aus dem Bildtitel, dem Format, Bildaufbau (Geometrie und Farbe), der Dramaturgie (Personen, Handlungen, Orte, Ausstattung...). Damit erschließt sich oft schon ein guter Teil der Botschaft, die das Bild übermittelt. Die Erschließung des sachlichen Bestands hat für uns in der Schule dort ihre Grenzen, wo wir das Werk nur über Abbildungen studieren können, bestenfalls im Museum ein Ausstellungsstück in Augenschein nehmen können. Maltechnik, Materialien erschließen sich so nur sehr begrenzt.

Interpretationen sind diese Bezeichnung nicht wert, wenn sie nicht Sachverhalte mit einbeziehen, die der sachliche Bestand nicht so ohne weiteres hergibt, z.B. Gründe und Umstände für die Entstehung des Bildes, Provenienz: z.B. Auftrag, Intentionen von Auftraggeber und Autor..., Rezeptionsgeschichte etc. müssen wir uns über Literatur und Quellenstudium erschließen. Es wäre eine naive Vorstellung von Interpretation, wenn man glaubte dass es darum geht, ins Bild irgendwelche an den Haaren herbeigezogenen Dinge hineinzulesen. Bilder, denen wir im Museum begegnen können, haben in der Regel eine Phase der Forschung durchlaufen. Der Besuch einer kunstwissenschaftlichen Bibliothek, ein Blick ins Literaturverzeichnis eines Ausstellungskatalogs könnte eine Vorstellung davon geben, was Quellenstudium in Bezug auf ein einzelnes Bild leisten kann. Die Staatliche Graphische Sammlung München hat zu dem hier verhandelten Bild "Italia und Germania" von Johann Friedrich Overbeck im Jahr 2002 eine eigene Ausstellung gemacht und eine Schrift (Katalog mit 112 Seiten) herausgegeben. Aus 15 Museen wurden dazu Exponate entliehen. Der Katalog enthält 40 Bilder, auf die sich die Aussagen beziehen. Das Literaturverzeichnis zum Katalog und zur Einleitung listet 57 Schriften auf. Drei Autoren bestreiten den Katalog und die begleitenden Aufsätze: Frank Büttner betitelt seinen Aufsatz "Bilder als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen Aufklärung und Romantik in Deutschland" (22 Seiten, 89 Anmerkungen/zitierte Quellen), und Brigitte Heise titelt: "Sulamith und Maria - ein Beispiel romantischer Symposie" (8 Seiten, 18 Anmerkungen/zitierte Quellen). Gisela Scheffler zeichnet verantwortlich für den Katalog, der die Exponate in Bildern wiedergibt und jede Abbildung ausführlich kommentiert.

Das Studium dieser im Katalog ausgebreiteten Recherchearbeit zeigt, dass ein erster Eindruck von einem Bild im Betrachter im besten Fall etwas auslösen kann, was die inhaltlichen Dimensionen eines solchen Objekts nur recht oberflächlich streift. Und selbst eine formale Untersuchung kann nur ein Einstieg in eine Auseinandersetzung mit dem Objekt sein. Umso besser, wenn der erste Eindruck in uns bereits auf positive Gefühle trifft, wenn die formale Analyse Fragen aufwirft oder gar eine intellektuelle Herausforderung weckt, die in tiefere Schichten von Verständnis eines Werks eindringen möchte.

Ein "Freundschaftsbild"

1808 nahm Overbeck ein Kunststudium an der Akademie Wien auf, wo er sich mit Pforr anfreundete, der dort bereits studierte. Zusammen mit anderen Studenten empfanden sie die klassizistische Doktrin der Akademie als Gängelung und rebellierten gegen ihre Lehrer, die Lehrinhalte und die Methoden. Während die Akademie an der klassischen Antike orientiert war, suchten sich die Rebellen ihr Ideal in der Renaissance. Pforr sah sein Vorbild in Dürer, Overbeck in Raffael. In der Verschmelzung von 'germanischen' und 'italienischen' Auffassungen glaubten sie ein neues, zeitgemäßes Kunstideal entwickeln zu können. Die Gründung einer Malergilde nach mittelalterlichem Vorbild >Lukasbund< genannt, gab der kaiserlichen Akademie einen bequemen Vorwand die Rebellen 1809 auszuschließen. Der in Wien geschlossene Bund ist charakterisiert durch "Sendungsbewusstsein, Erlösungshoffnung und Heilserwartung...ganz auf die Kunst ausgerichtet. Die Künstler selbst bezeichneten ihren Bund als Orden." (Katalog S.20) Zu viert machten sie sich 1810 nach Rom auf, wo sie in einem ehemaligen Kloster (San Isidoro) Wege suchten, um in benachbarten Zellen einen intensiven gedanklichen Austausch zu pflegen und ihre Ideale gelegentlich auch in gemeinsamen Arbeiten zu realisieren. Der Bund signalisierte auf diese Weise auch eine von allen geteilte Basis in religiöser Hinsicht. "Wie Apostel Christi wollten sie sein.. und sich darauf gefasst machen, Märtyrer der Kunst zu werden." (Katalog S.21) Freundschaft ist für die Romantik insgesamt ein hochgestecktes Ideal. Um ihren Bund nach außen hin sichtbar zu machen, ließen sich die Freunde lange Haare wachsen und trugen mittelalterlich anmutende Gewänder. Ob sie ihrem Bündnis selbst den Namen gaben oder ob sie ihn in Rom als Spitznahmen erhielten scheint mir nicht ganz geklärt. In der Kunstgeschichte findet man sie heute noch als die >Nazarener<.

"1811 beschlossen Pforr und Overbeck, sich gegenseitig Freundschaftsbilder zu malen zu der von Pforr erdachten Geschichte >Sulamith und Maria<." (Katalog S.93) Abbildung links zeigt eine Zeichnung Pforrs, mit der er Johann Friedrich Overbeck als Johannes (dessen Namenspatron) darstellt. Das ist eine Studie, die er für sein Freunschaftsbild (unten links) verwendet, wo Johannes der Täufer (linkes Bildfeld, rechter Bildrand) auf Maria mit dem Jesuskind trifft. So etwa gekleidet werden die Nazarener in Rom herumgelaufen sein. Da sich ihre Freundschaft im wesentlichen auf ihre gemeinsamen Ziele, Ideen, >Ideale< in Beziehung auf eine Erneuerung der Kunst bezog entwickelte Pforr eine Bildidee, die an Dürers Melencolia angelehnt war, Dürers Einzelfigur auf ein Paar erweiterte. "Die beiden Mädchengestalten sind wie Dürers Melancholie von allegorischen Gegenständen der Tugenden umgeben, zu welchen die wahre Freundschaft die Partner führt."(Katalog S.51) Dürers schlafender Hund (Treue) ist aufgewacht, Schwert und Schild (Kampfbund) liegen am Boden vor den Figuren, der Beutel der Melencolia liegt offen da und ist gemeinsamer Besitz. Nach oben hin rahmen von li. nach re. eine Kirche, die aufgehende Sonne ein auffliegender Adler und eine Abendmahlszene die Mauer vor der das aneinander geschmiegte Paar sitzt. Laut Katalog haben Pforr und Overbeck ihre an Dürer und Raffael angelehnten Kunstideale auch als ihre 'Bräute' bezeichnet. Somit spielt in den allegorischen Figuren auch ein Idealbild von Frau eine gewisse Rolle.

"Ebenso wie sie sich selbst bedeutsame programmatische Namen (Albrecht für Pforr, Johannes für Overbeck) verliehen hatten, so benannten sie nun ihre erträumten Bräute. Pforr nannte die seine Maria...sie war zugleich Gottesmutter und er gedachte dabei der Madonnenbilder Dürers. Overbeck wählte den Namen Sulamith...Sulamith war für Overbeck die Repräsentantin der Kunst, die Gott auserwählt hat, um seine Herrlichkeit auf Erden sichtbar zu machen...Raffael, Overbecks großes Vorbild, hatte für den jungen Romantiker diese höchste Stufe der Kunst erreicht...Drei Jahre nach den ersten eher scherzhaften Gesprächen über ihre Bräute überreichte Franz Pforr dem Freund ein Büchlein mit dem Titel >Sulamith und Maria< ein Märchen, das er ganz dem Stil der Künstlerviten des Vasari, den Texten von Wilhelm Wackenroder und der legenda aurea anlehnte." (Katalog S.39) So wie in Pforrs Frauenbildern Dürers Madonnen wieder auferstehen, feiern in Overbecks Frauengestalten Raffaels Madonnen eine Wiedergeburt.

Für die Interpretation nicht unerheblich ist der Zeitraum der Entstehung von Overbecks Bild. Während Pforr bereits ein Jahr später an Tuberkulose stirbt aber seine Version zu "Sulamith und Maria (links) fertrigstellt, kommt Overbeck bis zu Pforrs Tod 1812 über Zeichnungen (rechts ein Karton der Version 1812) nicht hinaus. Pforrs Bildchen hat ein kleines Format von 34x32 cm und ist in Öl auf Holz gemalt. Demgegenüber hat Overbeck mit seinem Karton (Kohle und Kreide aus 6 Blättern zusammengesetzt) ein größeres Bild in Planung im Format 91x102 cm. Der gemeinsamen Idee entspricht die Tatsache, dass Overbeck eine Zeichnung von Pforr als Grundlage für sein eigenes Bild wählt. Allerdings blendet er vieles aus, was bei Pforr an Dürer angelehnt ist. Die Accessoires insgesamt hält er für verzichtbar, die räumliche Situation konzentriert er auf den Nahbereich, dafür intensiviert er die Figuren in ihrer Pose der Zuwendung und in allen Details von Köpfen, Händen und Gewändern. Aber dann lässt Overbeck 1812 die Arbeit liegen. Der Tod des Freundes raubt dem Freundschaftsbeweis erst einmal die Motivation.

Erst 1815 entsteht ein weiterer Karton, der nun auch in der Bogenöffnung hinter den Figuren rechts eine gotische Stadt und links eine romanische Kirche andeutet. Die neuerliche Motivation zur Weiterarbeit beschreibt Overbeck in einem Brief, den der Katalog zitiert: "...ich werde wahrscheinlich die beiden Bräute malen, die ich einst...für unseren seligen Bruder Pforr gezeichnet habe. Ein gewisser Hr. Wenner...hat (bei) mir dieses Bild sammt einem gleich großen Gegenstücke bestellt... ich denke...die himmlische Liebe vorzustellen als Gegensatz der irdischen..." (Katalog S.59) Das gibt dem Inhalt des Bildes eine völlig neue Wende und zeigt damit, wie offen für Vieldeutigkeiten Bilder auch in den Augen ihrer Hersteller sein können. Der Auftraggeber nimmt die beiden Frauengestalten als ein Sinnbild von inniger, körperlicher Zuwendung wahr, die keusch bleibt aber doch um die körperliche Nähe, Vereinigung, Zärtlichkeit, nicht herumkommt. Die Zeichnung in diesem Karton besticht dementsprechend durch eine Intensität im Strich, die sich hier in der Abbildung kaum reproduzieren lässt. Auch der Katalog greift an dieser Stelle zur Ausschnittvergrößerung, die spürbar macht, wie geradezu zärtlich der Strich die Zeichenfläche berührt, wie weich einerseits die hellen Töne erzeugt sind und wie nachvollziehbar der Druck in den dunklen Partien der Modellierung gesteigert wird.

Die Idee von einem Gegenstück, wie immer das gemeint war als himmlische oder als irdische Liebe, lässt Overbeck schließlich auch fallen. Er hat dazu offenbar nicht einmal bildhafte Ideen entwickelt.

1828 erst beendet Overbeck die gemalte Fassung, befeuert durch den Auftrag und den damit in Aussicht gestellten Ankauf, der über mehrere Stationen die Pinakothek in München erreicht. Die Fertigstellung des lange Zeit nur zeichnerisch konzipierten Bildes ist durch andere Auftragsarbeiten unterbrochen. Eine Vorzeichnung und Untermalung, die auf der Leinwand durch Infrarot-Reflektographie sichtbar gemacht werden kann zeigt, dass der rahmende Bogen über den Figuren noch zu Anfang der Gemäldefassung im Konzept enthalten war, dann aber der jetzt sichtbaren Öffnung weichen musste, die dem Hintergrund mehr Gewicht gibt. Mit dieser veränderten Situation erklärt sich auch der nun gewandelte Bildtitel >Italia und Germania<, die durch die Farbgebung in den Haaren und Gewändern der Frauen klarer wird als in der Zeichnung. Bei einem Freundschaftsbild würde man annehmen, dass es eigenhändig gemalt ist. Den Auftrag kann man auch als 'Werkstattbild' sozusagen erledigen. In der Tat scheint zumindest die Untermalung von Overbecks Schwager Theodor Rehbenitz gemalt zu sein, der auch vom fertigen Bild 1835 eine Kopie fertigte, die heute in Dresden hängt. Rehbenitz ist wohl auch ein Teil der Architektur im Bildhintergrund zuzuschreiben (das Kloster links im Bild kommt so bei Overbecks Kartons nicht vor, dazu existiert allerdings eine Studie von Rehbenitz's Hand).

Overbeck in einem Brief an den Auftraggeber des Gemäldes Friedrich Wenner: "...Was nun die weitere Ausbildung der dem Bild zu Grunde liegenden Idee anlangt, so wird es Sie wohl überhaupt nicht wundern, daß nach so vielen Jahren aus den beiden Bräuten ein Paar ehrbarer Frauen geworden sind, die Frauen Germania und Italia....und so mag man das Bild denn auch schlichtweg die Freundschaft nennen, wenn ihm einmal ein Name gegeben werden soll." (Katalog S.60)