Luitpold-Gymnasium München Leistungskurs Kunsterziehung |
Proportionslehre
In den Proportionslehren zeigt sich eine geistige Verwandtschaft zwischen Kunst und Geometrie. Wo die Kunst Wert legt auf eine Nähe zur Wissenschaft, bedient sie sich der Geometrie, spielt mit Zahlen und rechnet. Dies ist so bei den Ägyptern, bei Griechen und Römern, in der Renaissance, im Klassizismus. von Uli Schuster |
Bereits die Ägypter besaßen in Architektur,
Plastik und Malerei Proportions(=Maß-)regeln, welche Vorschriften
darstellten über die Gliederung von Räumen, Flächen oder
Strecken. Die Geometrie lieferte somit das ästhetische Instrumentarium
für die Komposition, d.h. Gliederung und Anordnung von Teilen auf
der Fläche und im Raum. In der Wandmalerei herrscht eine deutlich
sichtbare, zeilen- und rasterartige Gliederungsvorstellung.
Ein Beispiel für die Darstellung der Proportionen am menschlichen Körper liefert eine erhaltene Vorzeichnung für ein Wandbild aus dem 3. Jt. vor Chr. Gemessen werden neben einzelnen Körpergliedern auch einige eher willkürlich erscheinende Körperteile. Räumliche Verkürzungen werden in dieser Art der Darstellung nicht berücksichtigt. Häufig erscheint die Figur wie im gegebenen Beispiel in einer eigenartigen Kombination aus Profil- und Frontalansicht. Im ersten Jahrtausend verändert sich das Zeilenraster mit zunächst unterschiedlichen Abständen zu einem gleichförmigen Quadratnetz. Der Kopf wird dann in der Regel mit einer Höhe von drei Rasterfeldern beschrieben.Von der Halsgrube bis Mund 1.Zeile, vom Mund bis Haaransatz 2. Zeile und vom Haaransatz bis Scheitel 3. Zeile. Der Kopf tritt also als eigene Maßeinheit noch nicht auf. |
Standlinie-Kniehöhe
2 Fuß
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Die wohl bedeutendste Proportionslehre der Griechen stammt
von Polyklet 5. Jh. v.Chr. Er hat eine allerdings nicht erhaltene
Proportionsschrift "Kanon"(Regel) geschrieben und eine plastische
Figur nach dieser Regel geschaffen, die auch nicht im Original erhalten
ist, den Doryphoros oder Speerträger. Polyklet war offenbar
der Erste, der seine Theorie auf Messungen am menschlichen Körper
zurückgeführt hat.
Die Überlieferung (Galen, 2. Jh n. Chr.)sagt: "Chrasippos ist der Meinung, daß körperliche Schönheit auf der Proportioniertheit der Glieder beruht, also eines Fingers zum anderen und aller Finger zur Mittelhand und Handwurzel und dieser Teile zum Unterarm und des Unterarms zum Arm und so fort jeden Teils zu allen, gerade so, wie das in Polyklets "Regel" geschrieben steht." Proportioniertheit in diesem Sinn bedeutet also Verhältnismäßigkeit. Die Körperteile werden zueinander in Beziehung gesetzt, miteinander verglichen. Das erfordert kein absolutes Maß sondern zielt darauf ab das Ganze als Summe der Einzelteile zu begreifen. Die größte Verbreitung in der Neuzeit erfuhr eine ebenfalls aus antiker Quelle stammende Proportionslehre, die des Architekten Vitruvius aus dem 1. Jh. vor Christus. In seiner Schrift über die Architektur schreibt er: |
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"Den Körper des Menschen hat die Natur
so geformt, daß das Gesicht vom Kinn bis zum oberen Ende der Stirn
und dem unteren Rand des Haarschopfes 1/10 beträgt, die Handfläche
von der Handwurzel bis zur Spitze des Mittelfingers ebensoviel, der Kopf
vom Kinn bis zum höchsten Punkt des Scheitels 1/8..... Vom unteren
Teil des Kinns aber bis zu den Nasenlöchern ist der dritte Teil der
Länge des Gesichts selbst, ebensoviel die Nase von den Nasenlöchern
bis zur Mitte der Linie der Augenbrauen. Von dieser Linie bis zum Haaransatz
wird die Stirn gebildet, ebenfalls 1/3 ...."
Vitruvs System wurde von Proportionstheoretikern der Renaissance übernommen, so z.B. von Leonardo da Vinci. Sein "Homo ad Circulum" ist eine Illustration der Vitruvschen Proportionslehre. Er übernimmt auch die Aussage Vitruvs, daß der Nabel der "Mittelpunkt" des Körpers sei. |
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Leonardo illustrierte eine der bedeutendsten Proportionslehren der Renaissance,"De Divina Proportione", des Mathematikers Luca Pacioli. Auch Dürer stützt sich in seinen "Vier Bücher von menschlicher Proportion" auf Vitruv, dessen Schema er weitgehend übernimmt und verfeinert. Alle diese Proportionssysteme gehen aus vom Körper des Menschen als Maßeinheit und drücken seine Teile aus als Quotienten dieses Ganzen. |
Wohl einer der ersten, die von diesem Denken abweichen, ist der Hofbildhauer unter Friedrich Wilhelm IV., J.G. Schadow. In "Polyklet oder von den Maßen des Menschen" verwendet er das Zollmaß, also ein absolutes Maß, das von außen an den Körper herangetragen wird. Darüber hinaus ist er einer der ersten, der Interesse dokumentiert am Wachstum des Körpers. Damit verläßt die Proportionslehre den Bereich des künstlerischen Interesses und schafft theoretische Grundlagen wie sie für die Normierung von Konfektionsgrößen in der industriellen Produktion von Kleidung notwendig sind. |
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In neuerer Zeit stammt die einzige herausragende Proportionslehre von dem französisch/schweizerischen Architekten Le Corbusier. Sein Problem führt von der "exakten" Messung zurück zu Gesetzen für die Teilung von Flächen und Räumen nach "harmonischen", und seiner Überzeugung nach dem Menschenmaß entnommenen Gesichtspunkten. Seine Proportionsfigur wurde bekannt unter dem Namen "Modulor" und diente dem Architekten zur Findung von Maßen am Bau, die er im Einklang mit dem menschlichen Maß sah. Le Corbusier verknüpft in seinem Modulor das menschliche Maß mit geometrischen Harmonievorstellungen die aus der harmonischen Teilung, dem Goldenen Schnitt entstehen. |
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Welche Hilfen beim figürlichen Zeichnen können wir aus den dargestellten Proportionslehren entnehmen? |
Eine erheblicher Nachteil dieser Systeme für den nach Rat suchenden
Zeichner besteht darin, daß sie von einem ebenen Modell des Menschen
ausgehen. Damit sind sie zum Erfassen von raumgreifenden Haltungen, von
bewegten Figuren nur sehr eingeschränkt tauglich, wo perspektivische
Verkürzungen und Tiefenwirkungen auch an der Figur zu berücksichtigen
sind.
Zwei methodische Hilfen lassen sich dennoch aus der Proportionslehre gewinnen: 1. Es kann eine Hilfe sein, wenn man beim Zeichnen der Figur von einem Achsensystem ausgeht, an dem man die wesentlichen Maßbeziehungen erfaßt, bevor man die Gliederungen und die Körperteile im Einzelnen ausarbeitet. Alberti (15. Jh)
sagt: "Wenn du
einen Akt malst, beginne mit den Knochen, füge dann die Muskeln hinzu
und bedecke darauf den Körper mit Fleisch."
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2. Es ist beim Zeichnen eine generelle Hilfe, wenn man stets den
Größenvergleich zwischen den Teilen und Gliederungen im Auge
hat:
Kopfhöhe : Körperhöhe Beinlänge : Körperlänge Handlänge : Gesichtslänge Oberarm : Unterarm Oberschenkel zu Unterschenkel Fußlänge : Kopflänge Kopfbreite : Schulterbreite : Hüftbreite etc... Dürer sagt: "Aber
so du wol messen hast gelernt...also daß du ein Ding aus freier Gewißheit
kannst machen...alsdann ist nit allweg not ein Ding allweg zu messen...alsdann
ist die geübt Hand gehorsam."
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Schülerarbeiten |
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LK Kunst, 12. Jgst.
Figürliches Zeichnen im Großformat mit Kohle und Kreide auf Packpapier. Die meisten Schüler folgten meinem Rat und zeichneten erst einmal Figuren in tanzender Bewegung in den Zeichenblock. An den Wänden der Schulaula gab es dann hinreichend Platz für alle. Oben: Laura, Alev, Nina
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"Der Modulor" - online Ausstellung von Dipl.-Ing.
Hermann Kühn zum Leben und Werk von Le Corbusier:
http://www.tu-harburg.de/b/kuehn/lec4.html |