Luitpold-Gymnasium München Leistungskurs Kunsterziehung |
Das Stilleben - nature morte
von U. Schuster Pieter Claesz "Stilleben mit
brennender Kerze", 1627
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Für die Entstehung der Gattung Stilleben in
der Malerei des 15./16. Jhs. gibt es verschiedene Gründe:
a) ein am Ende der Gotik vor allem im Norden Europas entstehender 'Naturalismus' b) das Bedürfnis des höfischen wie bürgerlichen Publikums nach emblematischer und allegorischer Darstellung. c) die beginnende kunsttheoretische Reflexion über die künstlerische Leistung |
Im Mittelalter trat das Stilleben nicht als selbständige Gattung auf. Ähnlich wie die Bildnismalerei tauchte das Thema der Sachdarstellung zuerst nur am Rande religiöser Themen auf: Als Darstellung gegenständlicher Attribute für einen Heiligen oder Ausstattung mythologischer Szenen, als sachlich orientierte Darstellung natürlicher Objekte in Teilen der Landschaftsmalerei, oder als Abbildung symbolisch gemeinter Gegenstände in allegorischen Bildern. |
![]() nebenstehend: J. Hoefnagel 1592 nasci-pati-mori. "Werden und Vergehen" Vielfach geht es zunächst um Kuriosa wie fremdländische Früchte, kostbare Waffen und Schmuckgegenstände. Die Sachdarstellung geht somit im Gleichschritt mit der Erforschung der Natur und der Sammelleidenschaft, deren Resultate mitsamt den fürstlichen Raritätenkabinetten der Renaissance und des Barock an manchen Orten heute noch erhalten sind. |
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![]() Zunehmend erhalten im Stilleben des 17. Jhs Farben und Licht (insbesondere Kerzenschein) sowie die Komposition eine symbolische Dimension. Aber auch gegenständliche Arrangements verweisen symbolhaft auf verschiedene Lebensbezüge, ganz im Sinne von Attributen, wie sie in mittelalterlichen Heiligendarstellungen im Gebrauch waren. Attribute der Wissenschaft, des kaufmännischen Lebens, der literarischen Bildung, der Frömmigkeit, der Völlerei, Trophäen des Krieges und der Jagd, sowie der Fruchtbarkeit des Bodens werden im Barock zu Stilleben gruppiert, in denen sich bürgerliches Leben und Denken wiederspiegelt. |
Nature morte nennen die Franzosen das Stilleben. Von der Vanitas-Symbolik ist nur ein kleiner Schritt bis zur Darstellung der "Letzten Dinge": Tod, Lebenslicht, letzte Stunde, die Waage des jüngsten Gerichts, die Sieben Todsünden."Finis gloriae mundi". |
![]() Im 16./17. Jh. wird die Vanitas(=Vergänglichkeits)- Symbolik verknüpft mit der Symbolwelt der künstlerischen Arbeit als Hinweis auf die Vergänglichkeit des Ruhms und das vergebliche Streben nach einem Überleben im künstlerischen Werk. Neue Symbole der Vergänglichkeit tauchen auf: Der tote Fisch, das flackernde Kerzenlicht, der umgefallene Krug, das Instrument, dessen Ton verstummt ist, faulende Früchte, Geld, Karten- und Würfelspiel, die ablaufende Sanduhr, der Spiegel, der die Schönheit nicht festhalten kann, Waffen einer geschlagenen Schlacht, Bücher, die das Leben festhalten wollten... |
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![]() Bereits im 16. Jh. bildete sich die Tradition heraus, Stilleben zum"Triumph der Malerei"zu erheben, weil es dem Maler die Möglichkeit bietet, seine illusionistisch-darstellerischen Fertigkeiten unter Beweis zu stellen. Hier greift die schon in der Antike aufgestellte Forderung, daß die Kunst -hier die Malerei- die Natur nicht zu imitieren habe, sondern sie sogar übertreffen müsse. Höhepunkt in der Virtuosität der raumillusionistischen Sachdarstellung ist das Trompe l'oeil (franz.: Täuschung des Auges). In Erweiterung zu der seit der Renaissance üblichen Bildillusion täuscht das Trompe l'oeil vor, ein reales Ding zu sein. Die nebenstehende 'Grafik' ist in Wirklichkeit von Sebastian Stoskopff im 17. Jh in Öl auf Leinwand gemalt. ![]() Cornelius Gijsbrecht , dänischer Hofmaler des 17. Jhs malt ein Bild, das vortäuscht, die Rückseite eines Gemäldes zu sein. Kunstphilosophisch scheint mir das eine höchst aufschlußreiche Aussage zu sein, die sich die Objektkünstler des vergangenen Jahrhunderts zu eigen machten. Von Andy Warhol wird der Satz überliefert: "Dieses Ding ist ein Ding. Man nennt es Bild". Magrittes bildhaftes Glaubensbekenntnis "Dies ist keine Pfeife", oder Duchamps "Ready mades" schlagen in die gleiche Kerbe und hinken der Einsicht Gijsbrechts doch um Jahrhunderte hinterher. |
![]() ![]() Vom vorgetäuschten Objektcharakter des Trompe l'oeil zum Objektcharakter des gegenstandslosen Bildes ist der gedankliche Weg nicht allzu weit. Die Verknüpfung von gemaltem Bild und realem Objekt in der Collage oder Assemblage führt zum Environment und zur Verknüpfung von Malerei und Plastik. Sie beschreibt in neu entdeckter Weise den alten Zusammenhang von Plastik und Malerei, der in der Geschichte der Kunst vielfach gegeben war, und der auch für die Kunst des 20.Jhs. von Picasso bis zur Popart eine maßgebliche Idee darstellt. |
![]() Für Klassizismus und Romantik ist das Stilleben kein Thema. Realismus und Impressionismus hingegen geben dem Stilleben eine neue Bedeutung. Ganz gemäß Courbets realistischem Glaubensbekenntnis stellt er die Dinge so dar, wie sie dem Auge erscheinen, nicht als Verweise auf einen literarischen oder symbolischen Gehalt und nicht um die Sinne zu täuschen, oder einen Wert zu repräsentieren sondern um der Realität willen. Insbesondere während seines Gefängnisaufenthalts malte Courbet in Ermangelung anderer Motive eine Reihe von Stilleben. Nebenstehend: Courbet, Blumenstilleben 1855 Für die Impressionisten wird aus Courbets Programm in etwas abgewandelter Form der Wunsch, das Auge zu erfreuen. Wie schon bei Chardin geht es den 'Realisten' gerade um die unspektakulären Dinge, ein Bündel Spargel (Manet, Schuch), Äpfel und Birnen bei Cezanne. Die Maler des 19. Jhs. befreien das Stilleben ganz im Sinne von Chardin (s.o.) weitgehend von der symbolischen Dimension und lassen es zum Selbstzweck formalbildnerischer Problematik werden. Insbesondere bei Manet (Spargel) und Cezanne (Äpfel und Orangen), später bei den Kubisten und bei Matisse steht dieser Aspekt der 'Sachdarstellung' im Vordergrund. |
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![]() "Die Persönlichen Dinge" sollten von den Schülern zu einem Stilleben arrangiert und als Komposition gemalt werden. Bedingung: Ein Spiegel mußte ins Bild eingebaut werden. Markus (unten) hat hier sowohl seine jahreszeitlich bedingte Not mit der körperlichen Abwehr als seine Vorlieben für Musik und Literatur durch die Gegenstände sprechen lassen. Der Alpendollar im Vordergrund hat etwas mit seiner Herkunft zu tun und das Schneidemesser? Moritz (rechts) hat den Spiegel genutzt und seine "Welt" verdoppelt. Stift und Skizzenblock spielen darin eine wesentliche Rolle. Das Glas wird durch die scheinbare Verdoppelung auch nicht wesentlich voller, aber der Flaschenöffner und das geleerte Glas könnten der versteckte Hinweis auf einen Grund sein, warum man hier alles doppelt sieht. |
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Die Aquarelle aus der unteren Zeile stammen von Laura Schusinski, Tobias Petri und Moritz Widmaier. Die Arbeiten entstanden allesamt während einer Klausur, zum Teil sind sie Endergebnisse, zum Teil auch Entwürfe. |
Literatur: Katalog "Stilleben in Europa", Münster
1980
http://www.nga.gov/collection/gallery/gg47/gg47-main1.html National gallery of art (Washington) präsentiert holländische Stilleben des 17. Jhs inclusive vieler Bildausschnitte und wenig Text (engl) |