Seminar Gymnasialfach Kunsterziehung Fachgebiete der Kunsterziehung |
Vom Helldunkel
in der Schülerzeichnung von Uli Schuster "Kein Kind kommt ohne Vorbild oder Anleitung auf den Gedanken, seine Bilder zu schattieren, weder, um den Eindruck der Helligkeitsverteilung 'richtig' wiederzugeben, noch auch, um eine körperliche Wirkung zu erzielen." (Wolfgang Metzger, "Gesetze des Sehens", Frankfurt a. M. 1975, S. 316) |
Trotz dieser eindeutigen Aussage der Wahrnehmungspsychologie kommt
das Helldunkel in der Kinder- und Jugendzeichnung vor und es scheint angebracht,
daß sich der Kunsterzieher Gedanken darüber macht, in welchen
Weisen das Helldunkel für Schüler eine Rolle spielt, wann und
in welchen Kontexten es ihnen nahezubringen ist, wenn sie schon -wie Metzger
vermutet- von selbst nicht draufkommen.
Wenn ich sage, das Helldunkel kommt in der Kinderzeichnung vor, dann meine ich damit zunächst die schlichte Tatsache, daß beim Zeichnen mit Stiften oder auch beim Malen mit Farben ein Helldunkel kaum zu vermeiden ist: Eine auf hellem Papiergrund mit Bleistift umrissene Form definiert den Rand der Form als dunkel, die Form selbst als hell. Unterschiedlicher Druck läßt Stifte unterschiedlich wirksam abreiben. Farben auf hellem Malgrund trocknen bei unregelmäßigem Farbauftrag unterschiedlich deckend und damit unterschiedlich hell auf. Daneben besitzen sie als Farben einen eigenen Helligkeitswert. ![]() Helldunkel kommt in der entwickelten Kinderzeichnung auch vor als Eigenschaft von Dingen, als Objekttönung im Sinn einer Lokalfarbe oder als Objektmerkmal im Sinn einer Textur. Haare, Gras, Stroh, Wolle wird in Strichbündeln charakterisiert. Worum es hier geht, ist die Frage, wann und unter welchen Umständen sich die Wahrnehmung von Beleuchtungsunterschieden in der Helldunkel - Darstellung erstmals zeigt. Dazu scheint ein Ausflug in die Kunstgeschichte hilfreich. |
"Nicht nur unbeholfene
Kinder, sondern auch die größten Künstler haben Jahrtausende
lang seit der Steinzeit auf ihren Gemälden die Beleuchtungsunterschiede
unbeachtet gelassen.".."In Europa tat man es bis zum Beginn der Neuzeit.
Und auch wo man z.B. die Körperschatten im Bild wiederzugeben versucht,
ist es zunächst keineswegs, um die richtige Lichtverteilung darzustellen,
sondern immer noch, um Eigenschaften der Dinge, nämlich Rundungen
des Körpers, Gewandfalten u. dergl. anzudeuten."
(Metzger S.317) |
Wahrnehmungspsychologisch scheint ein Zusammenhang gegeben zwischen perspektivischer Raumwahrnehmung und der Wahrnehmung eines Beleuchtungslichts. |
![]() ( Wolfgang Schöne, "Über das Licht in der Malerei", Berlin 1979, S. 119)
"Man sieht von Anfang an und bis zuletzt zwar sehr genau, ob ein Ding aus schwarzem, grauem oder weißem Stoff besteht oder mit diesen Farben bemalt ist, aber höchst ungenau, wie hell es eben beleuchtet ist, und überhaupt nicht, welche Stärke das von seinen verschiedenen Stellen zurückgestrahlte und ins Auge gelangende Licht besitzt."(S.315) |
Schon die Meister der Renaissance haben einen Trick gekannt, mit dessen
Hilfe sich die Wahrnehmungsfähigkeit von ![]()
Die Abbildungen zeigen Ausschnitte aus einem Kupferstich von Galle 1595 "Color Olivi"; zwei Lehrbuben zeichnen nach "Muster" (Augen) und nach dem "Runden" (Büste) Das Musterzeichnen hat schließlich das zu vermitteln, was der
Zeichner immer noch nicht weiß, wenn er mit Hilfe einer experimentellen,
physikalischen Anordnung das Helldunkel am Objekt isoliert und wahrgenommen
hat: Wie sind die weich verlaufenden Schattierungen am runden weißen
Körper in zeichnerische Spuren, Stiftabrieb, Striche zu übersetzen?
Nichts an dem beobachtbaren Phänomen Körperschatten deutet hin
auf Linien oder eine zeichnerische Spur. Das gezeichnete Muster liefert
demnach den Formelschatz, das Vokabular, die Konventionen, nach denen das
beobachtete Phänomen in bildhafte Zeichen eines bestimmten Zeichenmaterials
übersetzt werden kann, übersetzt werden soll, übersetzt
werden muß. Da der Zusammenhang von Beleuchtung und Helldunkel als eine relativ späte historische Entwicklung gesehen wird bleibt im Moment die von Metzger oben zitierte These offen, nach der eine Modellierung auch unabhängig von einem Interesse für Beleuchtung denkbar ist und historisch vorkommt.
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"Die Konturlinie,
der Umriß, ist ein Abstraktum. Und dennoch wird durch Umreißen
der dargestellte Gegenstand jedermann begreifbar. Die Umdeutung des Gesehenen
ist eine wahrgenommene Begriffsbedeutung, ist stufenlos und selbstverständlich.
Die Linie also folgt den Grenzen eines Körpers und seiner Teile, wobei
die Kontur - manche sagen auch heute noch der Kontur - aus einer einzigen
geschlossenen Linie bestehen kann, ebenso aber auch aus Linienfragmenten
- Goethes "Fraktur" -, die in der Gestaltvorstellung ohne weiteres ergänzt
werden."
(Walter Koschatzky, "Die Kunst der Zeichnung", München 1987, S. 205) |
Beim Kind entwickelt sich die Zeichnung aus dem Kritzeln heraus, so
daß eine "klare Kontur" bereits das Ergebnis eines längeren
Entwicklungs- und auch Disziplinierungsprozesses darstellt. Die Bedeutungen
von Körpergrenze, Binnenkontur, Textur und Helldunkel existieren für
das Kind auch im Alter von 10 Jahren noch nicht als geschiedene Wahrnehmungen
und Ausdrücke, sondern sind vieldeutig und damit unbestimmt.
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1. Die Trennung von Kontur und Kolorit halte ich erkenntnistheoretisch für die erste Stufe einer Wahrnehmung von Helldunkel. Sie kommt bereits in der altägyptischen Malerei vor. |
![]() (Formann/Kischewitz, "Die Ägyptische Zeichnung", Hanau 1971, S. 22) |
![]() (Kischewitz S. 21) ![]() Siehe Beispiel Auch in der Malerei kommt es zu einem Funktionswandel der Konturlinie: Zweitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung erhalten die ehedem schwarzen Umrißzeichnungen der Männer eine rotbraune Farbe, die der Frauen eine ockergelbe. Im Totenbuch des Kaufmanns Kenna ( ca. 1400 v.Chr. Abb. rechts) nimmt der Maler Abstand von der kalligrafisch - schwarzen Kontur. Schwarz wird hier nur noch verwendet für Haare, Augen, Nasloch und Mundspalte und Mundwinkel, während die übrige Kontur sich dem Braun der Binnenfarbe annähert. Dies sind ihrer Wirkung nach auch Annäherungen an einen Gebrauch der Kontur im Sinn einer Modellierung .
Beispielsweise stelle man als Thema die Darstellung einer ägyptischen
"Grabkammer"
und erkläre den Kindern Grundlagen der ägyptischen Malerei. Die
Betrachtung entsprechenden Bildmaterials liefert die notwendigen Anregungen.
Die Vorzeichnung erfolgt mit Blei, auf einen farblich bereits präparierten
Malgrund (mittleres Braungrau). Die dargestellten Objekte werden daraufhin
mit einer begrenzten Palette (z.B. braune Naturtöne) ausgemalt und
abschließend mit verdünnter Farbe, Beize o.dergl. und Feder
umrissen.
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2. Überschneidung, Verflechtung
und Schichtungwerden in der Kinderzeichnung weitgehend
vermieden, kommen aber im Alter von 10 Jahren durchaus vor. Im Sinn
einer Schärfung des Bewußtseins für den Umriß wird
der Kunsterzieher in diesem Alter und in der ganzen Unterstufe Aufgaben
suchen, die eine Schichtung im Bild und damit Überschneidungen und
Verflechtungen verlangen. Interessanterweise taucht in der Ägyptischen
Zeichnung mit der Hintereinanderstaffelung von Figuren auch die gestufte
Tonigkeit von Farbe auf. In dem oben bereits erwähnten Totenbuch des
Kaufmanns Kenna aus dem 14. Jh. v. Chr. sind mehrere Beispiele für
hintereinander geschichtete Figurengruppen enthalten, deren Farbgebung
die Trennung der Schichten mit einem Wechsel von Hell und Dunkel lösen.
Da es sich um Gruppen von Männern und Gruppen von Frauen handelt,
bezeichnet hier der Farbton nicht mehr das Geschlecht, sondern die Staffelung
im Raum.
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3. Kantenbildung tritt am Relief
und insbesondere am plastischen Ornament deutlich in Erscheinung. In der
Zeichnung taucht die Kante als Kontur / Binnenkontur auf. Was in der Plastik
einen Richtungswechsel und damit verbunden einen Wechsel im Reflexionsverhalten
einer Oberfläche bedeutet, das ist in der Zeichnung mit einer Kontur
nur dürftig ausgedrückt. Schülern kann man das recht plausibel
machen bei der Darstellung eines Quaders nach den Regeln der Parallelperspektive.
Die drei sichtbaren Seitenflächen werden durch Kontur und Binnenkontur
und die Winkelbildung der Linien optisch nur schwach voneinander unterschieden.
Eine Tönung der Flächen in drei Stufen bringt hier größere
Klarheit und Plastizität.
Die Schüler fordern dazu meist eine Regel und es erscheint sinnvoll, diese zu geben. Bei einer Perspektive, die vom Quader die Vorderseite, den Deckel und die rechte Seitenfläche zeigt, ist ein Licht angebracht, das (vorne) links oben plaziert ist. Bezüglich der Helligkeitsverteilung ergibt das einen hellen Deckel, eine leicht getönte Vorderseite und eine abgedunkelte rechte Seitenfläche. Für das Füllen der Flächen gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, unter denen mir zwei besonders sinnvoll erscheinen: Schraffur und Lavis. Beim Lavieren mit verdünnter Beize empfiehlt es sich, die auszumalende Fläche vorher mit dem Pinsel zu feuchten und dann die Beize in einer Richtung gleichmäßig zu vertreiben. Abdunkelung erreicht man durch wiederholten Farbauftrag mit der gleichen Farbe. Die Kantenbildung erfolgt bei diesem Vorgehen wie in der ägyptischen Zeichnung erst durch Festlegung der Umrisse und dann durch Ausfüllen der Körperflächen mit Farbe.
Licht und Farbe bilden in der Malerei selten eine Einheit. Gotik und Renaissance unterscheiden zwischen der Funktion des Helldunkel als einem formgebenden Faktor und der Funktion der Farbe als Schmuck, Symbol- und Stimmungswert. Den deutlichsten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Schichtenmalerei, die im Tafelbild über die Renaissance hinaus Bestand hat. Rein gefühlsmäßig drängt sich mir der Verdacht auf, daß dieses Stadium in der Entwicklung des Helldunkel für das Jugendalter von Bedeutung sein könnte. Die Kunsterziehung hat dies allerdings wenig beeindruckt, weil sie lange Zeit unter den Prämissen des Expressionismus sich der 'Befreiung der Farbe' von der formgebenden Funktion verschrieben hat. Grisaille und Ton-in-Ton-Malerei haben in der Kunsterziehung bislang offenbar wenig Fürsprache gefunden.
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"Die Farbe ist nicht
mehr, wie in der gesamten abendländischen Malerei vom Mittelalter
bis zum Impressionismus, eine Funktion des Lichts, - sondern umgekehrt:
das Licht ist zu einer Funktion der Farbe geworden."
( Schöne, S.200) |
Es scheint also, daß ein Teil der Malerei seit dem Impressionismus sich zunehmend auf die eine Sichtweise als die "künstlerische" versteift, Farbe und Licht aus der darstellenden Funktion entläßt, während ein anderer Teil beim Realismus bleibt und der Bereich der elektronischen, fotografischen und drucktechnischen Bilderzeugung im Dienst einer Darstellung der dinglichen Welt am Prinzip der Trennbarkeit von Farbe und Helldunkel festhält. Es liegt in der Konsequenz einer die Farbe befreienden Malerei, daß sie auf gegenständliche Darstellung verzichtet, weil die dingliche Welt das Licht braucht, um in Erscheinung zu treten. |
"Unsere Wahrnehmung
fester Körper ist ausschließlich Sache der Erfahrung. Wir sehen
nichts als Farben in der Fläche. Und nur durch eine Reihe von Experimenten
kommen wir darauf, daß ein schwarzer oder grauer Fleck die dunkle
Seite eines festen Körpers ist oder daß eine schwache Färbung
ein Anzeichen dafür ist, daß der betreffende Gegenstand weit
weg ist."
(Ruskin, zitiert in Gombrich S. 325) |
Dieses hier zum Ausdruck gebrachte Verständnis von Wahrnehmung
kommt schon zum Ausdruck in der Constable zugeschriebenen Äußerung,
man müsse sich in der Malerei befreien von allem, was man über
Malerei wisse, und es kommt zum Ausdruck in der bewundernden Äußerung,
die Cezanne über Monet gemacht haben soll. "Monet n'est qu'un oeil
- mais quel oeil!".
Gombrich erteilt dem auch in die Theorie der Kunsterziehung eingegangenen Wunsch nach einem unbefangenen, reinen Sehen eine deutliche Absage: |
"Niemals hat jemand
je eine rein visuelle Sinnesempfindung gesehen, selbst die Impressionisten
nicht, die sich die größte Mühe gaben, sie zu erhaschen."
(Gombrich S. 327) |
Dabei geht es ihm um die Feststellung, daß unsere Wahrnehmung stets einen Weg sucht zwischen Erlerntem und Erlebtem, zwischen Konvention und eigener Erfahrung. |
"...dieses
Ideal der reinen voraussetzungslosen Beobachtung, das der Theorie der Induktion
zugrunde lag, hat sich in der Wissenschaft ebenso wie in der bildenden
Kunst als illusorisch erwiesen. Die moderne Wissenschaftslehre hat an der
Idee, daß es möglich sei, unbeeinflußt von jeder Erwartungsvorstellung
drauflos zu beobachten, scharfe Kritik geübt. Karl Popper betonte,
daß wir nicht imstande sind unseren Geist gleichsam in ein unbeschriebenes
Blatt zu verwandeln,"..."sondern daß jede Beobachtung eine Frage
voraussetzt, die wir an die Natur richten, und daß jede solche Frage
eine vorläufige Hypothese in sich schließt..."
(Gombrich S.353) |
Wir müssen also im Unterricht eine Situation herbeiführen, wo gewisse Hypothesen auf ein Interesse der Schüler treffen und damit auf ihre Bereitschaft, sie auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen. |
![]() Schüler beginnen ihre gegenständlichen Zeichnungen in der Regel mit dem Festlegen von Kontur und Binnenkontur. Helldunkel tritt dann in Form mehr oder weniger kontrollierter Schraffuren hinzu. Wie oben bereits erwähnt, treten dabei Widersprüche auf, weil es im System des Helldunkel die Kontur als dunkle , freistehende Linie nur im Ausnahmefall gibt. Im Alter von 16 Jahren fällt dies nicht allen Jugendlichen als Problem auf. Einige sind daraufhin ansprechbar. Eine mit Körperschatten ausgestattete gegenständliche Zeichnung darf an der Kontur nicht einfach aufhören, sie muß den Körperumriß in Unterscheidung zum Umraum des Körpers definieren. Dadurch werden in der Regel Umrißlinien in die Schraffur einbezogen oder gehören plötzlich auch nicht mehr zum Objekt, sondern zu einem dunklen Hintergrund.
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Um die dem alltäglichen Sehen verborgene Helligkeitsverteilung zu erfassen, |
"muß der Maler die Farben 'undinglich' sehen, er muß die Dinge 'auflösen'."(Metzger S.317) |
Das Sehen von Licht und Schatten braucht Hilfsmittel, wie der
Stich von Veneziano "Akademia Bandinelli" zeigt. In Bezug auf die
Helldunkel - Wahrnehmung muß man dem Gehirn erst einmal abgewöhnen,
Farben zu sehen, der Bleistift wird zum Auge, das die Dunkelheiten
erfaßt. Aber damit ist es nicht getan. Weiß, also Licht,
darf nicht aus der Wahrnehmung ausgeklammert werden. ![]() |
![]() Metzger spricht im Zusammenhang mit dem 'reinen Sehen' von "Auflösung der Dinge". Für ihn beginnt dies historisch mit dem Impressionismus. Mir stellt sich der Impressionismus dar als eine Umkehrung des Wegs, den die Renaissance beschritt, als sie aus dem mittelalterlichen Symbol- und Schmucklicht das Beleuchtungslicht herauslöste. Der Impressionismus nimmt das Beleuchtungslicht zurück. In der Malerei des 20.Jhs (Matisse, Braque, Picasso, Kirchner, Schmidt-Rottluf, Klee, Nay) gibt es |
"kein Beleuchtungslicht
mehr, sondern Licht und Schatten sind zur Farbe geworden, desgleichen gehören
Schwarz und Weiß zur Farbenskala und drücken nicht mehr Licht
und Finsternis aus."
(Schöne S. 200) |
Die farbigen Lichtpunkte der impressionistischen Malerei scheinen mir
die Idee des Bildschirms vorwegzunehmen, und das in einer Zeit, in der
die Glühlampe noch nicht zur Alltagserfahrung gehört. Das impressionistische
Bild tut so, als seien seine Bildpunkte Lichtquellen, was natürlich
nicht der Fall ist. Gleiches gilt für den gerasterten Mehrfarbendruck.
Das impressionistische Auge löst die gegenständliche Welt, die sich ihm über Farbreize vermittelt, in anderer Weise als das Auge der Renaissance. Leonardo rechnete Schwarz und Weiß nicht zu den Farben: |
"Das Eine
ist Finsternis, das Andere Licht, d.h. das Eine ist Entziehung (der Farbe),
das Andere Erzeugung (der Farbe)."
(Leonardo zitiert bei Schöne S.208) |
Ich suche nach dem Lösungsmittel. Welche zeichnerischen und
malerischen Konventionen gibt es für die Auflösung des Lichts?
Bei den Ägyptern scheint der Verlauf von Hell nach Dunkel, von einer Farbe in die andere, nicht vorzukommen. Die "malerische" Wirkung vieler Werke verdankt sich eher den Spuren der Alterung und Verwitterung als malerischer Zielsetzung. Trotzdem hat die oben beschriebene Annäherung von Farbfläche und farbigem Umriß ebenso wie die tonige Stufung im Fall einer räumlichen Staffelung, optisch eine dem Verlauf vergleichbare Wirkung. Was die ägyptische Zeichnung und Malerei allem Anschein nach nicht anstreben ist im Relief allerdings wahrnehmbar vermittelt: Der Meißel des Bildhauers gräbt den Umriß der Figur als Vertiefung in den Stein und rundet diese Gräben zum Körper hin weich verlaufend ab, während nach außen eine harte Kante stehen bleibt. Mir drängt sich hier ein Vergleich auf zur malerischen Technik der Lavierung, die ich bei Villards Musterbuchzeichnung (S.6) so vermute: Der mit Feder und Tusche gezogene Umriß ist nach dem Trocknen der Zeichnung durch einen feuchten Pinsel nach der Innenseite der Figur hin angelöst und verwaschen. |
"Die Technik der
Lavierung ist bei den Musterblättern des hohen Mittelalters verbreitet,
ja vorwiegend, wie ich bei dem Wolfenbütteler Musterbuch nachweisen
konnte. Jene Zeit, die den Schattenstrich noch kaum kannte und verwandte,
mußte ja vor plastischen Aufgaben nach einem modellierenden Zeichnungsmittel
suchen."
( Hahnloser, Villard de Honnecourt, Graz 1972, S.60) |
Eine vergleichbare Aufweichung, "Verflüssigung" von Körperumrissen
kann man in Zeichnungen des Jugendalters finden, wobei der weiche Bleistift
meist mit dem Finger "verwischt" wird. Manche Schüler lieben diesen
Effekt ganz außerordentlich und lassen sich von Lehrern kaum davon
abhalten. Gelegentlich wird an Stelle einer einfachen Kontur eine Art Schraffur
"aufgetragen", um mehr verwischbare Farbe zur Verfügung zu haben.
Die Renaissance entwickelt die Schraffur (in der Malerei, in Zeichnung und Kupferstich) zu einer variantenreichen linearen Zeichensprache und übersetzt die Technik der Lavierung in die Tonflächen des Clair/Obscure-Holzschnitts. Die Schraffur stellt einen Übergang dar vom taktilen zum visuellen Verständnis der Modellierung. In der mittelalterlichen Zeichnung kommt die Schraffur ausgesprochen selten vor. In der Buchmalerei heftet sie sich gelegentlich an die zeichnerische Darstellung von Gewandfalten. Mir drängt sich die Ansicht auf, daß die Idee der Modellierung auch ohne die Beobachtung eines Beleuchtungslichts auskommt. Begrifflich taucht das "Rilievo" bereits bei Cennini im Zusammenhang mit dem Gedanken einer einheitlichen Lichtführung in der Malerei auf. Interessanterweise ist für die Renaissance der Schatten nicht etwa ein Aspekt des Disegno, sondern des Colorire. |
"Zum colorire gehören
der Pinsel, Schattierungen, die Darstellung der Oberflächen, relievo;
zum disegno gehören der Stift, Linien, die Darstellung von Rändern,
Perspektive."
( Baxandall, "Die Wirklichkeit der Bilder", Frankfurt 1980, S.170). "Wie du deinen Figuren das System der Beleuchtung, Licht oder Schatten geben sollst, indem du sie mit einem System des rilievo ausstattest: Wenn du in Kapellen oder an anderen schwierigen Orten zeichnest oder malst, wo du die Beleuchtung nicht nach deinen Absichten einrichten kannst, dann gib deinen Figuren oder dem Entwurf das rilievo in Übereinstimmung mit der Anordnung der Fenster, denn sie sorgen für die Beleuchtung in dem Raum. Und indem du so der Beleuchtung folgst, von welcher Seite sie auch immer kommen mag, setze dein rilievo und den Schatten nach diesem System ein...Und wenn das Licht durch ein Fenster stärker einfällt als durch die anderen, dann richte dich immer nach diesem helleren Licht; und du solltest es systematisch studieren und verfolgen, denn wenn dein Werk darin fehlt, wird es kein rilievo haben und sich als schlichtes Ding von geringer Meisterschaft erweisen." Cennino Cennini, "Il libro dell' arte" um 1400, zitiert aus Baxandall, "Die Wirklichkeit der Bilder", S. 149 |
![]() Insbesondere die Drucktechnik beförderte in der Renaissance eine Kultivierung der Schraffur. Erstens, weil sie die Auflösung der Gegenstände in druckbare Bildelemente voraussetzte und zweitens, weil sie durch die Verbreitung der Musterzeichnungen das Übungsmaterial lieferte, an dem sich Generationen von Lernenden übten.
Wie erklärt man Schülern die Idee der Formlinie? Aus einem Bauhauskatalog von 1968 habe ich mir von Kurt Kranz eine Aufgabe geliehen, die ich "zersägte Jungfrau" (Siehe Abb. S. 13) nenne: Eine figürliche Fotografie aus einer Illustrierten soll in horizontalen und vertikalen Schnitten 'zersägt' werden. Die Schnittlinien werden mit dem Bleistift leicht angezeichnet. Dann schneidet man mit der Schere an ihnen entlang, klebt die entstehenden Einzelteile leicht versetzt so auf ein Papier, daß man in die entstehenden Zwischenräume die Schnittflächen ergänzen kann.
Die Verfeinerung der Schraffurlinie führt schon in der Renaissance zur Punktierung, und doch dauert es bis zur Mitte des 19.Jhs, bis daraus über den Umweg der Aquatinta, der Schabkunst, ein universelles System wird, das Druckraster. Meisenbach heißt der Erfinder und Autotypie (Selbstdruck) nennt sich die Erfindung, die er 1881 anmeldet. Das Bildraster erweist sich in der Folge als universelles Lösungsmittel für Bilder nicht nur in Helldunkel sondern auch in Farbe. Ein beliebig fein zu denkendes Gitter aus sich rechtwinklig kreuzenden feinsten Linien löst die Bildfläche auf in winzige Flächenelemente, deren Helligkeit oder Dunkelheit durch die Größe eines weißen oder schwarzen Punktes unterschiedlicher Größe ausgedrückt wird. Niemand muß nun mehr die Sklavenarbeit der Lithographen oder Neoimpressionisten verrichten. Das erledigt jetzt die Fotografie. Georg Meisenbach, Kupferstecher aus Emmering bei München, findet Nachahmer und Verfeinerer seiner Erfindung. So den Amerikaner Ben Day, der 1878 Erfolge hat mit einem mechanisierten Verfahren zur Reproduktion kolorierter und im Helldunkel differenzierter Strichvorlagen. Das Ben Day Rapid Shading Medium besteht aus einem transparenten Gelatinefilm, der auf einer Seite mit Punkten oder Texturen bedruckt ist, die sich durch Abreiben auf einen beliebigen Bildträger übertragen lassen (bei uns bekannt als Abreibefolie von Letraset). Die "Ben Day Dots" übertrugen die Ästhetik des maschinellen Autotypieverfahrens in den Bereich zeichnerisch - grafischer Druckvorlagen. Roy Lichtenstein beutet Ben Days Erfindung künstlerisch aus. Bei der Autotypie drückt sich der Helligkeitswert eines Rasterfeldes
aus durch den prozentualen Anteil des schwarzen Rasterpunktes an der Größe
des Rasterfeldes. Bei entsprechend feiner Auflösung (bis zu 80 Linien
pro qcm = 6400 Rasterfelder auf jeden qcm) lassen sich damit nicht nur
Helligkeiten, sondern feinste Oberflächencharakteristika wiedergeben.
Chuck Close liefert in seinen Zeichnungen eine ganze Reihe -wie mir scheint- sinnvoller Anwendungen und Aufgabenstellungen zum Thema Auflösung. In einer 11. Jahrgangsstufe habe ich eine Aufgabenreihe durchgeführt, deren Ausgangspunkt ein Portraitfoto von jedem Schüler war. Zunächst erklärte ich das Prinzip der Tontrennung und ließ jeden Schüler nach seiner Fotografie eine Tontrennung in drei bis vier Grautönen durchführen. Daran anschließend ließ ich die Zeichnungen mit Hilfe eines Quadratrasters vergrößern. In einem nächsten Schritt wurden die Graustufen der Tontrennung in Rasterpunkte übersetzt, wofür mehrere Lösungen zur Wahl standen: Schwarze Punkte unterschiedlicher Flächendeckung, Fingerprints, die je nach Grauton einfach oder mehrfach übereinandergedruckt wurden, oder Schraffuren, die je nach Dunkelheit in einer oder mehreren Lagen zu ziehen waren. Die Erkenntnis ist stets auf den Nenner zu bringen: der bildhafte Eindruck eines Gesichts bis hin zu einer guten Identifizierbarkeit kann beruhen auf einer Konfiguration von Flecken unterschiedlicher Helligkeit. |
![]() Adalbert von Camisso schreibt 1813 die Novelle "Peter Schle-mihls wundersame Geschichte" über einen Mann, der seinen Schatten an den Teufel verkauft. Plinius führt die Erfindung der Malerei darauf zurück, daß ein Mädchen den Umriß des Schattens ihres Geliebten an der Wand nachgezogen hätte. Licht und Schatten stehen in der christlichen Mythologie für Gut und Böse. Apostelgeschichte 5,15 erzählt die Geschichte von Petrus' Schattenheilung. Petrus heilt im Vorübergehen einen Lahmen, indem sein Schatten auf ihn fällt. (Dazu Masaccio "Schattenheilung") Alexander ließ seinen Schatten auf Diogenes fallen, der sich nichts dringlicher wünschte als "geh' mir aus der Sonne!" Der Schlagschatten wird in den alten Kulturen magisch aufgeladen und animistisch beseelt. Die Griechen bezeichnen die Unterwelt als Schattenreich. Für die Ägypter ist der Schatten eines der drei materiellen Elemente des Menschen (Leib, Name, Schatten). Mit dem Tod verläßt der Schatten den Körper. Er wird als eigenes Wesen angesehen, eine wandernde, unvergängliche Seele. Schatten, Echo, Spiegelbild, Bildnis, Fotografie bleiben bis heute zutiefst solchen magisch - mythologischen Vorstellungen verbunden. Der Schatten kann einem vorauseilen, wie im Western dem Gunman, oder er kann einem folgen, jemanden verfolgen. Aus ältester Zeit stammt die Vorstellung, daß der Schatten Schwarz ist. Die Entdeckung des farbigen Schattens wird mit Delacroix in Verbindung gebracht, war allerdings Leonardo bereits bekannt. Koschatzky weiß zu berichten, "daß der japanische Künstler, einem alten, aus China stammenden Kunstdogma zufolge, keine Schatten zeichnen darf." ( Die Kunst der Graphik, S. 63) Andererseits gibt es im chinesischen Kulturraum eine alte Tradition des Schattenspiels. |
Literatur:
Michael Baxandall, "Die Wirklichkeit der Bilder - Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jhs.", Frankfurt 1980 Forman-Kischewitz, "Die altägyptische Zeichnung", Hanau 1971 P. Frieß, "Kunst und Maschine", München 1993 Ernst H. Gombrich, "Kunst und Illusion", Stuttgart, 1978 Hans R. Hahnloser, "Villard de Honnecourt", Graz 1972 Wolfgang Metzger, "Gesetze des Sehens", Frankfurt 1975 Wolfgang Schöne, "Über das Licht in der Malerei", Berlin 1994 Ernst Strauß, "Zu den Anfängen des Hellunkels", Hefte des kunsthistorischen Seminars der Uni München, Heft 5, 1959 Boekhoff/Winzer, "Das große Buch der Graphik", Braunschweig 1968 |